DIE Xißnus vox MILO. 237
erhobenen Haupte thronen und durch den fest auf den
Angreifer gerichteten Blick diesem die Schranke stecken,
ihn durch Hoheit zurückweisen. Ein solches hoheitsvolles
Weib hat uns der Künstler in der melischen Statue ge-
schaffen. Mit unerreichbarer Kunst hat er gerade diese die
Bewegung des Körpers überragende, von dem herrlichen
Antlitz ausgehende Ruhe, Sicherheit und Erhabenheit der
Seele zum Ausdruck gebracht: wie der reizvolle Rhythmus
mannigfachster, durch die Entfernung der einzelnen Körper-
teile aus dem natürlichen Gleichgewichte hervorgerufener
Linien ihren Ziel- und Endpunkt in dem über der Bewegung
ruhig thronenden Haupte findet, so gelangt auch die
seelische Erregung, welche in dem Beschauer durch die
schutzsuchende Abwehr des gekränkten Weibes erweckt
wird, in der aus dem Antlitz leuchtenden, siegverheißenden
göttlichen Ruhe zu einer Befriedigung, wie sie nur die
edelsten Kunstschöpftingen als höchstes Ziel erreichen.
Eine solche Behandlung des Hauptmotives entspricht
einer von großen Empfindungen erfüllten und für sie noch
empfänglichen Zeit. Es folgt aber eine andere, in welcher
nicht das Hoheitsvolle, sondern gerade das Hilfsbedürftige
als das am Weibe Entzückende erscheint. Da wird der
LIIIGYWEITICI und unwillkommen Nahende nicht nur durch
Hoheit zurückgewiesen: gerade der Anblick der hilflos
Flehenden ist es, der ihn entwaffnet und zurückschreckt.
Trat nun die Energie der Bewegung mit der Energie der
Seele zurück, so bedurfte es auch des Gewandmotixres nicht,
und es mußte an seine Stelle ein anderes treten, das die
Nacktheit verständlich machte: es ist die Ablegung des
Gewandes als Vorbereitung zum Bade. Diese Verwertung
zeigt uns, wenn wir nicht den Münzen, sondern den statu-
arischen Nachbildungen glauben, welche gerade um dieses
lebendigeren Charakters des Motives willen den Vorzug ver-
dienen möchten, die knidische Venus des Praxiteles. Es
ist nun leicht, weiter zu verfolgen, wie das Grundmotiv
eines in seiner Enthüllung von einem Manne erblickten
Weibes immer neu und immer anders behandelt wird, wenn
wir nur noch auf die kapitolinische Venus, bei welcher die
Beziehung zum Manne eine weit ausgeprägtere, eine weit