234 DxE VENUS von MILO.
Phantasie zu ergänzen sind. Im Weiteren Sinne des Wortes
läßt sich eine solche Einzelfigur wie der Apollo vom Bel-
vedere doch als Gruppenfigur bezeichnen, da sie ihr volles
Verständnis erst durch die hinzugedachte andere Figur er-
hält. Dann ließe sich die Situation so denken: ein uner-
wünschter Anblick bewirkt die schützende Bewegung; rasch
wird das zum Fallen geneigte Gewand zunächst durch die
Spannung mittels der Unterschenkel gehalten, während der
obere Teil durch die nach ihm hingreifende, es noch
nicht berührende rechte Hand erfasst werden soll, sodaß
im nächsten Augenblick die schützende Hülle einen voll-
ständig sicheren Halt gewinnen muss. Die linke Hand
dagegen ist, dem ersten Eindrücke folgend, abwehrend und
schützend erhoben, so daß der Oberarm, von der hoch-
erhobenen Schulter etwas nach vorn sich vorbeugend, sich
ein wenig neigt, dann der Unterarm mit der abwehrenden
Hand wiederum etwas nach vorn gehend sich erhebt die
erste, selbstverständliche, daher unwillkürlich eintretende,
zugleich abwehrende und schützende Bewegung einem
unerfreulichen Anblick, einer unwillig bemerkten Annäherung
gegenüber, selbst wenn sich der Nahende noch in ziemlicher
Entfernung befindet. Beide Arme haben, wenn auch die
Bewegung eines jeden von der des anderen äußerlich ver-
schieden ist, doch sowohl denselben Anlaß als auch den-
selben Zweck: sie gehen aus dem einheitlichen Motive des
Schutzes und der diesen erstrebenden Abwehr hervor, und
sind ein weiterer Ausdruck für die Thatsache, daß alle
Bewegungen, welche die Statue aufweist, ihre gemeinsame
Quelle in einer einzigen Empfindung haben.
Halten wir diese Abwreisting als das schließlich gefundene
Hauptmotiv fest, so ergiebt sich zwar leicht, wie sie jede
Bewegung im Einzelnen, wie sie die Gesamthalttmg des
Körpers vollständig erklärt und sie als eine wohl motivierte,
die Notwendigkeit des inneren Zusammenhanges offen-
barende, die ganze Gestalt von einer sie gleichmäßig durch-
dringenden Einheitlichkeit des Ausdruckes beherrschte auf-
weist und nichts als nur zufällige Zuthat übrig läßt: es
bleibt jedoch noch zu untersuchen, was der Künstler aus
diesem Grundmotiv gemacht hat.