TRACHT um)
MODE.
scheinung im Leben, daß die Anschauungen des Menschen
um so freier, um so tinabhätigiger von seiner nächsten Um-
gebung und den ihn ursprünglich beherrschenden Eindrücken
werden, je mehr er selbst in den Verkehr der Menschen eintritt.
NVer stets dieselbe Umgebung hat, bei dem kann es nicht
ausbleiben, daß irgend welche bestimmte Richtung seiner
Denkweise sich immer schärfer ausprägt, daß diese ein-
seitige Richtung sich immer entschiedener in allem geltend
macht, was er spricht und was er thut. Und je länger er
sich in dieser einen Richtung bewegt, um so weniger wird
er geneigt sein, sie aufzugeben, ja um so weniger wird er
für andere Richtungen sich ein Verständnis erwerben oder
erhalten können. Wenn nun aber die Kleidung recht
eigentlich das Spiegelbild der Gesinnung der Menschen ist,
so ergiebt sich als sehr natürlich, daß bei solchen sich ab-
schließenden Menschen die Kleidung gleichfalls ein eigen-
tümliches, sich gegen jede Veränderung sträubendes Gepräge
erhält, daß sie, auch wenn sie ursprünglich nicht Trägerin
einer bestimmten Bedeutung hatte sein sollen, doch allmäh-
lich das Symbol dieser besonderen Gesinnungsweise und
damit eine Tracht wird. Wer sich aber losreißt aus der
beengenden Umgebung, wer eintritt in den machtvolleir
Strom des Weltverkehrs, wer sich das Auge offen hält für
das ihm neu Entgegentretende, der wird seine Denkweise
nicht vorzeitig unter Dach bringen, der wird sie wohl-
thätigem fremdem EinHusse offen halten, der wird zwar
weniger scharf ausgeprägt sein in der Eigentümlichlteit seines
Wesens, dafür aber auch weniger eckig, weniger unbe-
holfen. Ist aber seine Gesinnung weltmiinnisch, wie wäre es
nun noch möglich, daß er sich in der Kleidung eine Fessel,
eine Abschließung auferlegte, die seine Gesinnung längst
weggeworfen hat? Eine Tracht ist für ihn unmöglich: denn
sie würde ihn als jemand kennzeichnen, der sich einseitig
in einer einzelnen Richtung mit vorurteilsvoller Ausschlie-
ßung jeder anderen Richtung bewegte. Wir sehen daher,
daß an solchen Orten zuerst, wo der weltmäitnische Schliff
sich erlangen läßt, zunächst in den großen Städten, die
Trachten verdrängt werden, daß wie in den Gesinnungen,
so auch in der Kleidung ein Ausgleich stattfindet, der ge-