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VENUS
DIE
Mmo.
VON
werk entgegen, das der kleinen, unbedeutenden Insel Milo
entstammt, und das der erstaunten Welt als eine neue
Offenbarung der hellenischen Kunst entgegentrat, auf
welche kein Ruhm des Ortes, kein Name eines Künstlers,
kein Wort eines Schriftstellers vorbereitet hatte. Und als
ob dieses Werk recht eigentlich zum Gegenstande ruheloser
Forschung bestimmt sein sollte, wird es uns in zertrümmertein
Zustandeim Vereine mit rätselhaften Bruchstücken überliefert,
und zu dem historischen Rätsel gesellt sich das künstlerische
mit der Frage nach der Ergänzung.
Will man an die Lösung dieser Fragen herantreten,
so erscheint es dem Thatbestande der Vereinzelung der
Statue gegenüber angezeigt, die Hilfsmittel zur Lösung des
Rätsels zunächst dem Werke selbst zu entnehmen: ist sie
doch die einzige authentische Interpretation der Absicht
des Künstlers, neben welcher alle übrigen Hilfsmittel der
Erkenntnis nur auf den Wert von Apokryphen Anspruch
machen können. Da ist es denn von Wichtigkeit, gleich
die ersten Momente ihrer Wiedergeburt zu verfolgen, zumal
da sich naancherlei Mythen an diese geknüpft haben: die
Melierin unterliegt auch hierin dem allgemeinen Schicksale
der Götter. Wir beschränken uns hierbei auf das, was
sich aus dem Wirrsal widersprechender Berichte als That-
sache herausschalen läßt: dies ist an sich schon so reich
an dramatischer Verwickelung, dalS es des künstlichen
Aufputzes nicht bedarf, um die teilnehmende Empfindung
in Spannung zu erhalten. Glücklicher Vv'eise löst sich
diese friedlicher, als es eine Zeit lang der tragisch ge-
scliürzte Knoten erwarten zu lassen schien.
Anfangs April 1820 grub der griechische Bauer Yorgos
auf seinem Felde, etwa fünfhundert Schritte von den Ruinen
des antiken Theaters von Melos, welches, nach seiner
Entdeckung im Jahre 1814 durch Baron Haller, vom Kron-
prinzen Ludwig von Baiern angekauft worden war. Das
Feld lag in der Nähe der alten Stadtmauer und über den
Gräbergrotten, die auf der rechten Seite des Thales, das
zum Meere hinführt, in die Felsen eingehauen sind. Steine
jener Mauer, welche der Bauer gefunden, und welche er
verwerten zu können hoffte, regten ihn an, weiterzugraben.