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TRACHT UND
Eine derartige Tracht wird nun mit wenigen Ausnah-
men, wie etwa bei den Fürsten, immer eine Anzahl Gleich-
artiger charakterisieren. Es ist klar, daß einerseits hierdurch
das Individuum zurücktreten und in der Entfaltung und
Äußerung seiner Selbständigkeit gehindert werden muß.
Solche Trachten werden daher da eintreten, wo die Indi-
viduen geneigt sind oder sich doch den Zwang gefallen
lassen, hinter einer Gesamtheit zurückzutreten, also in Zeiten,
welche den Stempel der bereitwilligen Unterwerfung des
Einzelnen unter die Gesamtheit tragen, wie in den ab-
soluten Herrschaften des Altertums: da werden sie sogar
zwangsweise eingeführt und getragen und charakterisieren
sich durch eine die Entfaltung des Individuums verschlingende
Einförlnigkeit. Trachten werden aber andererseits auf-
treten, wenn die Individuen bereits anfangen, sich in
ihrer Bedeutung, in ihrer Berechtigung dem großen Ganzen
gegenüber zu fühlen, und wenn sie nun zur Auslebung
ihrer Individualität sich trotzig dem Ganzen widersetzen,
sich von ihm lostrennen und außerhalb des großen Stromes
der Völkerbewegtmg ihre vollste Befriedigung im Gefühle
ihrer Sonderexistenz erlangen. Da werden alle die zahllosen
kleinen Ganzen suchen, ihrer so hochgeschätzten Be-
sonderheit auch einen äußeren Ausdruck zu verleihen, und
wo wäre das leichter und deutlicher zu finden als in der
Kleidung? Hierdurch aber wird diese zur Trägerin einer
symbolischen Bedeutung, und um dieser willen entzieht sie
sich möglichst allem Wechsel, d. h. sie wird zur Tracht,
aber zu einer Tracht, welche sich frei und unbeeinflußt
von oben entwickelt, daher die größte Mannigfaltigkeit
darbietet und für das Individuum gleichsam die Schutz-
mauer wird, durch welche es seine Eigenart vor dem
Einflüsse aller Anderen abschließt. YVohl keine Zeit ist
reicher in dieser Art der Tracht gewesen als das europäische
Mittelalter, welches sich auch nach dieser Seite hin aller-
dings noch viel weiter als bis zur Reformation erstreckt.
Diese Abschließung wird noch ganz besonders be-
günstigt durch die örtlichen Verhältnisse und die von ihnen
veranlaßte Schwierigkeit des Verkehrs. Ist es doch eine be-
kannte und sich immer und immer wiederholende Er-