MORITZ von
Scnwmn.
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N. 30) entschieden koloristisch wirkt. Allein er kann und
will dem allmählich immer mehr erwachenden Farbentaumel
nicht folgen. Gerade der Besuch der großen Pariser Aus-
stellung 1856 bringt ihn zu dem Entschlusse, diesen Weg
nicht mitzugehen, sondern sich um so entschiedener dem
Aquarelle zuzuwenden. Hier hat er die ihm zusagendste
Technik gefunden, noch weit mehr als im Fresko, das er
auf der Wartburg angewendet hat: so schön besonders
die sieben Barmherzigkeiten in der Erfindung und der
Zeichnung sind, die Farbe kann wenig ansprechen. Das
Aquarell aber bot ihm die zartesten Mittel, sein Kolorit
zugleich dem jedesmaligen Gegenstande der Darstellung
anzupassen, so daß gerade hier die innere Notwendigkeit
der Farbe am deutlichsten erscheint und es berechtigt ist,
für dieses Gebiet von einer besonderen koloristischen
Begabung Schwinds zu sprechen.
S0 wächst Schwind aus seiner Zeit, seinem Charakter,
seiner künstlerischen Begabung zu einer Persönlichkeit
hervor, die trotz dem innigen Zusammenhange mit den
die Zeit bewegenden Gedanken ihre volle Eigentümlichkeit
erreicht und sich dadurch eine bleibende Stellung in der
Kunstentwickelnng erringt. Sicher sind auch seinem Wirken
Grenzen gesetzt. So fehlt ihm der große historische Zug,
welcher Völkergeschicke und ihre Wendungen in einem
einzigen Augenblicke zusammenzufassen und in erschüttern-
der Größe darzustellen weiß. Dafür aber tritt er unserem
Herzen näher und weiß das Einzelgeschick der Menschen in
Scherz und Ernst zum Gegenstande innigsten Mitgefühles zu
machen. Er versteht es die in jeder Menschenbrust lebende
Ahnung höheren überirdischen Daseins zu berühren und
unsere Phantasie mit Gestalten zu füllen, die uns durch ihre
Lebenswahrheit erfreuen und uns doch darauf hinweisen,
daß die Kunst die Prophetin eines idealeren Daseins ist als
es die Alltäglichkeit zu bieten vermag. S0 kann seine Kunst
nicht nur erfreuen, sie kann auch erheben, trösten, mit
ahnnngsvoller Hodnung erfüllen. Vor allem aber versteht
er es, das deutsche Herz zu berühren und den köstlichen
Schatz, der in des deutschen Volkes Mährchen- und Zauber-
welt versteckt liegt, zu heben und dadurch zu einer tieferen