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Momrz VON
SCHWNIND.
welches seiner bereits fest gewonnenen Richtung entspricht:
es ist dagegen nicht eine sein Wesen umgestaltende, ihn
erst auf seine Richtung hinweisende Gegenwirkung, deren
es bei ihm nicht bedurfte. Und dennoch ist sein kurzer
Aufenthalt in Italien sicher nicht ohne Einfluß geblieben.
Er mag jedoch statt in der Gewinnung einer bestimmten
künstlerischen Richtung vielmehr in der Kräftigung seines
künstlerischen, nach einer harmonisch in sich abgeschlosse-
nen Form ringenden Gestaltungsvermögens zu suchen sein,
wie eine ähnliche Wirkung wiederum bei Goethe sich
zeigt. In seinem menschlichen Empfinden, in seiner Lebens-
anschauung, in den inneren Kämpfen, die er durchzumachen
hatte, blieb er was er war, der echte deutsche Mann, und
zwar, dem herrschenden Charakter der Zeit entsprechend,
der echte deutsche Romantiker. Wer sein künstlerisches
Wesen erfassen will, muß von dieser Thatsache ausgehen.
Die Romantik charakterisiert sich durch das Mißtrauen,
welches der Mensch in seine eigne Kraft setzt, um zu dem
ersehnten Ziele des inneren Friedens, des hartnonischen
Ausgleichs der streitenden, von widerspruchsvollen Lebens-
erfahrungen erzeugten Empfindungen zu gelangen, kraft
dessen ein sicherer Lebensweg gewonnen und eine Festig-
keit innerer Überzeugung erlangt wird, so daß kein von
außen an den Menschen herantretendes Ereignis ihn aus
dieser inneren Harmonie herausreißen kann. Dies Ziel aus
eigener Kraft zu gewinnen, ist der charakteristische Zug der
Klassik. Die Romantik, im Gegensatze zu ihr an der
eigenen Kraft verzweifelnd, ersehnt die Beihilfe einer
höheren, von außen her eingreifenden Macht, welche über
die unbefriedigte irdische Existenz hinaushilft. Den NVeg
zu dieser höheren Macht weist die Religion, aber sie thut
dies nicht allein: die Kunst thut es desgleichen, denn sie
ist nichts anderes als Religion: beide fließen in einem Strome
zusammen, und die Romantik beklagt es, daß es für beide
identische Begriffe nicht einen einzigen Ausdruck giebt.
Wie die Religion diese höhere Kraft verkündigt, so soll
die Kunst die der scheinbaren Wirklichkeit zu Grunde
liegende tiefere wahre Wirklichkeit offenbaren, in welcher
die mit göttlicher Kraft begabte geistige Welt sich kund