ADRIAN LUDWIG RICHTER. 173
Gestaltung des einzelnen Künstlers zugleich einen Einblick
in das Wesen der Kunst und ihrer Entwickelung im Zu-
sammenhange mit dem Gange der Bildung erreichen Will.
Dies soll der Gesichtspunkt sein, von welchem aus diese
Betrachtung ihr Ziel gewinnen möchte.
Richter steht nicht auf dem Boden einer naturgemäßen
Gestaltung des künstlerischen Schaffens, welches Hand in
Hand mit der geistigen Gestaltung des Volkslebens vor-
wärts strebte und dem Antriebe einer das ganze Volk
ergreifenden Bewegung Folge leistete: er wächst vielmehr
hervor aus einer abgestorbenen, nicht nur den Keim des
Verfalles, sondern den Tod selbst in sich tragenden Kunst-
richtung und gewinnt seine eigentümliche StellungirnKampfe
mit dieser Richtung, im Siege über sie: dieser Sieg wird
nur durch ein Zurückgreifen erreicht, und so erhält Richters
V orwartsstreben den Charakter einer rückläufigen Bewegung,
wie er in ähnlicher Weise bei den großen Meistern der
neuen deutschen Malerei erscheint. Bei ihm aber tritt
dieser Charakter in noch weit schiirferer Weise hervor,
weil es sich bei ihm nicht nur um die allgemeine künst-
lerische Auffassung innerhalb des von ihm besonders be-
triebenen Zweiges der Kunst, sondern auch um den Gegen-
stand der Darstellung selbst handelt: im Verlaufe seiner
XVirksamkeit vollzieht sich in der Wahl des Gegenstandes
seiner Darstellung eine Anderung, welche im Vßfhältnig
zu der Kunstentwickeltlng überhaupt den Charakter einer
rückläufigen Bewegung trägt und für ihn selbst dennoch
die Bedeutung einer vorwärtsführenden Bewegung hat. Zur
Erläuterung dieses scheinbaren Widerspruches möge Folgen-
des dienen.
Alle Kunst, die naturgemäß, das heißt als Ergebnis eines
im Menschen lebenden Bedürfnisses Wächst, nimmt ihren
Ausgangspunkt von der erzählenden Darstellung eines den
Menschen aufs tiefste bewegenden und seine Teilnahme
fesselnden Gegenstandes, der ihm im Walten der Gottheit
und im Geschehen wichtiger Erlebnisse sich offenbart. In
beiden Fällen wird es die figürliche Darstellung sein, die
ihm zuerst wichtig dünkt, die ihn auch nicht um ihrer
Schönheit, sondern um ihrer Bedeutung willen fesselt. Alles