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sonnene, maßlmltende, nur klare Empfindungen duldende
Strenge der klassischen Kunst keine genügende Ausdrucks-
weise zu bieten schien. Aber freilich mußte sich diese neue
Reaktion in einer ganz anderen Richtung bewegen, als jene
im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts. Während sie
damals, der Hauptströmting des noch keineswegs ver-
flossenen Mittelalters folgend, ein durchaus religiöses Ge-
präge trug, blieb ihr diesmal, dem Charakter ihrer eigenen
Zeit gemäß, die künstlerische Richtung eigentümlich, so
sehr sie sich auch bemühte, als eine religiöse Reaktion
gelten zu wollen. Suchte die überqtiellende Empfindungs-
seligkeit, das mystische Dämmern traumerischer Gemüts-
stimmungen nach Trägern ihres Ausdrucks, so boten sich
dafür als fügsame, der individuellen Willkür leicht anzu-
schtniegende, Gestalten die aus dem Grau der Vorzeit
herüberschimmernden Helden der Sage und der Märchen-
welt und mußten um so freudiger willkommen geheißen
werden, als sie, dem jammervollen politischen Zustande
Deutschlands gegenüber, gleichsam die sichere Gewähr der
unverlierbar-eh. und jetzt nur schlunnnernden Heldenkraft
der Deutschen darboten. Hatte doch schon Herder die
Blicke auf die im eigenen Volke und seinen Liedern ge-
borgenen Schätze hingelenkt und war es doch Goethe selbst
gewesen, der wieder das Verständnis der damals recht
eigentlich als deutsch betrachteten Baukunst des vierzehnten
Jahrhunderts geweckt hatte! Aber rasch trat eine verhängnis-
volle NVendung ein. Man erkannte den engen Zusammen-
hang, in welchem Dichtung und Bildkunst des Mittelalters
mit der Religion standen, und indem man die gegenteiligen
Strömungen übersah, zog man aus dem Umstande, daß
auf dem Boden der Religion eine großartige Kunst auf-
geblüht war, den Schluss, daß eine neue Blüte der Kunst
wiederum nur auf dem Boden der Religion gedeihen könne.
Man kam daher zu der Überzeugung, Religion und Kunst
seien thatsachlich ein und dasselbe, die Kunst sei nur eine
besondere Attsdrucltsweise der Religion und könne nur
als solche Wert und Bedeutung haben. Einen begeisterten
Ausdruck fanden zu Ende der neunziger Jah1'e diese Ge-
danken in den nl-lerzensergießungen eines kunstliebenden