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DIE TRAGIK
NVERKEN
PLASTIK.
HELLENISCHER
gehen. Nicht Laokoon der Verbrecher, wohl aber Laokoon
der Vaterlandsverteidiger, der dennoch von der Gottheit
zugunsten eines höheren Zieles getötet wird, damit der
Schicksalsschluß erfüllt werde, dem er sich zwar ohne
Wissen und Willen entgegenstellt, aber doch immerhin ent-
gegenstellt, nur dieser Laokoon ist eine tragische Gestalt,
deren Bedeutung noch dadurch erhöht wird, daß in den
Untergang des Vaters auch noch die Kinder hineingezogen
werden. ist so der Gegenstand zweifellos tragisch, so
fragt es sich nun, was die Künstler daraus gemacht haben.
Da ist zuerst der erschütterndste Zug vollständig un-
beachtet gelassen worden, der Umstand, daß, da die Kinder
mit dem Vater sterben, der Schmerz hierüber in der Seele
des Vaters, den eignen Schmerz übertönend, wiederklingen
muß. Für diesen Vater existiert nichts als sein eigner
Schmerz, und zwar sein körperlicher: nichts in ihm laßt
ahnen, daß seine Kinder neben ihm sterben und tödlich
bedroht sind. Hierdurch haben sich die Künstler der
reinsten und schönsten Wirkung begeben, um den Haupt-
akzent auf die Darstellung des körperlichen Schmerzes zu
legen, was allerdings meisterhaft geschehen ist. Damit ist
der schwächste Punkt der Gruppe berührt: das seelische
Leben wird nicht in Mitleidenschaft gezogen, und somit
wird auch die tiefe seelische Wirkung nicht erreicht. Nur
einmal ist es, als ob den Künstlern die Möglichkeit einer
solchen aufdammerte: der noch tinverwtmdete altere Sohn
schaut erschreckt auf den leidenden Xlater, aber naehr
überrascht von dessen ungewohnter Schmerzensäußerting
als tief ergriffen; ist doch auch die Seele eines Knaben
nicht das Zentrum, in welchem alle Strahlen des Seelen-
lebens zusammenströmen könnten. Und so zieht dieser
Anteil des Knaben wie ein leiser Hauch über die Gruppe,
während ein ganzer Sturm von Empfindungen sich in der
Seele des Vaters hatte zusammendrängen müssen. Die
Künstler haben so den Schwerpunkt ihrer Wirkung von
der Seele in den Körper verlegt, der hier nicht Dolmetscher
des inneren Lebens ist, sondern selbständige Bedeutung
beansprucht. Sie haben eine tragische Empfindung durch
Darstellung körperlichen Leidens erreichen wollen und