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TRAGXK
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PLASTIK.
ENISCHER
angeregt und in Spannung gehalten wird, während bei den
beiden anderen Personen die Lage eine derartig entschiedene
ist, daß der weiterdichtenden Phantasie der Weg aufs be-
stimmteste vorgezeichnet wird. Ließe man, wie es in
neuerer Zeit versucht worden ist, die Möglichkeit einer
wirklichen Rettung des älteren Knaben statt des bloßen
Auftauchens des Gedankens an eine solche Möglichkeit zu,
so ginge der Gruppe gerade das ergreifendste Moment, die
Vernichtung der ganzen Familie, verloren. Es ist viel-
mehr als ein Meisterzug in der Komposition zu bezeichnen,
daß die Künstler es verstanden, neben der tinbedingteti
Vernichtung des Einen, der eben vor sich gehenden Ver-
nichtung des Zweiten, in der dritten Gestalt eine neue
Form zu finden, in welcher die Vernichtung ebenso sicher
ist, während durch den Schein einer Rettung nicht etwa
eine Milderung, sondern sogar eine Erhöhung der Furcht-
barkeit der Lage gewonnen wird, welche zu dem über-
wältigenden Gesamteindruck wesentlich beiträgt. Ein
wirklich entkommender Sohn ließe die göttliche Macht
schwach und hinter ihrem Ziele zurückbleibend erscheinen;
er wäre nicht nur eine überflüssige Zuthat: er höbe viel-
mehr die einheitliche Wirkung geradezu auf. Bei einem
Dichter dagegen liegt die Sache ganz anders: er hat
eine Fülle von Mitteln, die Kraft und Größe der Gott-
heit zu schildern. Er kann das Entrinnen des Knaben
begründen, er hat die Gunst des Zusammenhanges der Er-
zählung für sich. Dem Bildküitstler steht statt einer Reihen-
folge von Augenblicken nur der eine Augenblick zutrVerfügtitig,
welchen wir in dem Bildwerke selbst festgehalten sehen:
in ihm muß alles enthalten sein, was zum Verständnis
des augenblicklichen Zustandes, zu seiner Erklärung und
Begründung notwendig ist. Der Bildkünstlei" muf) also die
Einheitlichkeit der Handlung straffer ziehen als der Dichter
und sich vor allem Episodischen hüten, das den Grundton
stören, die Gesamtwirkuitg beeinträchtigen könnte. Es ist
daher für das Verständnis der bildnerischen Gruppe durch-
aus gleichgiltig, daß ein alter Dichter den einen Sohn ent-
kommen läßt: gerade der Bildhauer ist am wenigsten von
den Bildkünstlern Illustrator des Dichters, gerade er schafft