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TRAGIK
Wannen
ZLLENISCH ER
PLASTIK.
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den bereits dem Stier um die Hörner geschlungenen Strick
auch um sie zu legen. Der nächste Augenblick zwingt in
unsere Phantasie unfehlbar das Bild des rasend fortspringen-
den Stieres und des gräßlich dahingescltleiften, zertretenen,
geschundenen Körpers der königlichen Frau, die wir eben
noch in dem höchsten Glanze blühender, im baccltttntischen
Taumel enthüllter Schönheit sahen. Daneben aber steht,
in vollkommener Ruhe der Bestrafung zuschauend, ein
anderes Weib, Antiope, welche jetzt die ersehnte Rache
erlangt hat und dieser ihren vollen Lauf läßt.
Wo liegt in all diesem die Tragik? Eine Schuld ist
hier thatsachlich vorhanden, die quälerische Mißhandltlng
einer Person, welche wenigstens der Dirke gegenüber nichts
verschuldet hat, und welche zudem als Sklavin sich nicht
verteidigen kann, sondern jede Laune der grausamen Herrin
über sich ergehen lassen muß. Die Schuld wird bestraft.
Die Strafe ist furchtbar, aber sie entspricht der Schuld des-
halb, weil die hartherzige Königin dieselbe Strafe verhängt
hatte. Es ist die einfache Wiedervergeltung: Schuld und
Strafe entsprechen einander, und gerade deshalb ist eine
tragische Empfindung nicht möglich. Von einer Berech-
tigung zu ihrem Handeln kann bei Dirke gleichfalls keine
Rede sein, wenigstens nicht in der Darstellung des pla-
stischen Werkes. Ist dieses, wirklich einer Tragödie des
Euripides nachgeschaffen der Bildkünstler konnte jedoch
seinen Stoff, eben so gut wie der Dichter, der Sage selbst
entnehmen so konnte diese Dichtung, deren tragische
Heldin jedoch Antiope war, manche Motive enthalten, welche
der Dirke wenigstens irgend welche Berechtigung zu ver-
leihen vermochte, etwa begründete Eifersucht auf die Sklavin.
Während aber der Dichter dies im Laufe der Handlung
vor uns entwickeln und unser Mitgefühl wenigstens nach
einer Seite hin für Dirke wecken konnte, steht dem Bild-
künstler diese Möglichkeit nicht zur Seite. Beim Dichter
wurde überdies nach der Sitte des antiken Dramas die
Bestrafung nur erzählt, nicht gezeigt, hier aber tritt sie
in der ganzen Wucht der tinentrinnbaren Realität vor
die Augen: die Einbildungskraft wird immer und immer
wieder an diesen Moment gefesselt, und sieht sich immer