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WERKEN
TRAGIK m
HELLENISCHER
PLASTIK.
halb der großen Gruppen bildeten die uns erhaltenen Statuen
jedoch nur einen Teil, und gewiß nicht den, für welchen
das Interesse in erster Linie in Anspruch genommen wurde.
Dieses galt vielmehr den Besiegern der Barbaren und der
Giganten, und die zu diesen gehörenden Besiegten und Ge-
töteten niußten zunächst die Empfindung der Genugthuung
tüber den durch ihren Tod verbürgten Sieg erwecken.
Dennoch ist nicht zu verkennen, daß zugleich Mitleid erregt
werden sollte, wodurch sich das Interesse an dem Ganzen
nur steigern, nur vermannigfaltigeii konnte. Sollte aber für
die Feinde Mitleid erregt werden, so konnte dies nur ein
allgemeinmenschliches sein, welches auch dem Feinde
nicht versagt wird, wenn die Situation das höchste Gut,
das Leben selbst, in I-irage stellt, oder wenn der Tod be-
sonders Eiberwältigend und erschütternd auftritt. Beide
Richtungen sind in hervorragender Weise vertreten: jene
in den niederfallenden Galliern, diese in den wie vom Blitze
getroffen Niedergestürzten, dem Giganten, dem griechi-
schen Pergamener und der Amazone. Dieser unmittelbare,
entsetzliche Eindruck des Todes wird noch durch die bis
aufs Äußerste getriebene Naturwahrheit erhöht, die uns
weder die Wunden noch das rinnende Blut erspart, die uns
namentlich in dem sich langsam und abgewendet vom
Kampfe verblutenden Gallier ein ergreifendes Schauspiel
zeigt, die es liebt die Gegensätze scharf nebeneinander zu
stellen, wie bei der Amazone, deren blutende Wunde auf
der in fast überkräftiger Lebensfülle schwellenden nackten
rechten Brust ltlafft. Noch mehr jedoch mußte die Sym-
pathie geweckt werden, wenn diese Mittel bei solchen ange-
wendet wurden, welche von vorneherein als die Verteidiger
gegen die eindringende Barbarei Anspruch auf Teilnahme
hatten, wie es in dem tot hingestreckt liegenden, durch-
unddurchgebohrten, aus doppelter Wunde blutenden Perga-
mener geschehen ist. Nehmen wir noch hinzu, daß auch
die sanftere Wehmut des langsam siegenden, schließlich
als Erlöser erscheinenden Todes in dem sterbenden Gallier
und in dem wie zum Schlafe hingesunkenen Perser einen
ergreifenden Ausdruck gefunden hat, so sehen wir, daß
selbst in den wenigen erhaltenen Resten eine reiche Stufen-