D11: TRAGIK n: VVERKEN HELLENISCHER PLASTIK. III
typische Bedeutung und verliert den dem Zufälligen an-
klebenden Widersinn. Unsere ganze Existenz innerhalb
der Welt beruht auf unserer Individualität; eine jede
solche hat durch ihre Eigenart Anspruch auf Auslebung
eben dieser Eigenart, aufwelcher ihr Wesen beruht. Will das
jede Individualität thun, so kommt sie unfehlbar mit anderen
in Konflikt, da die Wirkungskreise ineinander übergreifen.
Bei Vernunft und gutem Willen läßt sich wohl ein sachtes
Aneinandervorbeigleiten dieser Kreise erreichen, so lange in
dem Wesen der in Betracht kommenden Individualitäten
Neigung zur Nachgiebigkeit vorwaltet und mit diesem
Nachgeben nicht ein Aufgeben der Individualität verbunden
ist. Tritt dieses aber ein und ist die Individualität mit
dem mächtigen Antrieb ausgestattet, ihr Wesen zur Geltung
zu bringen, so ist der Zusammenstoß unausbleiblich. Handelt
es sich um Wesentliche Fragen, so erfolgt ein Zusammen-
stoß auf Leben und Tod, der, sobald wir eine Berechtigung
beiderseits anerkennen, in uns die tragische Empfindung
wachruft. Es wird dabei derjenige Teil unterliegen, der
nichts als das Recht seiner Individualität vertritt; der Teil
aber wird siegen, der in seiner Individualität außer seinem
persönlichen Rechte ein allgemeingiltiges vertritt, wobei die
Thatsache genügt, daß dieses Recht allgemeingiltiger Art ist,
daß auf seiner Aufrechterhaltung die Fortexistenz des allge-
meinen, zu Recht bestehenden Zustandes beruht, ohne daß
die sittliche Berechtigung des als allgemeingiltig Aner-
kannten in Betracht kommt. Ist dies der Fall, so wird dies
Moment als schmerzbefreiendes bei dem Untergange mit-
wirken; ist es nicht der Fall, so muß es eine Bitterkeit der
Empfindung erregen, welche außerhalb der ästhetischen
Absicht liegt und diese schädigt. Dieses Allgemeingiltige
kann unter sehr verschiedenen Gestalten auftreten. Bei den
Griechen sehen wir es als das allwaltende Fatum. Wir
lassen ein solches unmittelbar ins Leben eingreifende, in
seinen Gründen nicht zu verfolgende Überirdische nicht
mehr gerne als ästhetisches Motiv gelten. Es muß sich
gleichsam verkörpern, um menschlich faßbar zu werden,
sei es als staatliches Allgemeinwohl, sei es als herrschende
Sitte und Anschauungsweise, während wir die Berechtigung