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PLASTIK.
HELLENISCHER
WERKEN
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Vorstellungsfähigkeit keine unmittelbare ist, so wird die
Schmerzerweckung eine möglichst starke sein müssen,
damit die Vorstellungsfähigkeit das Nachempi-inden des
Schmerzgeffihles bewirken kann. je höher aber dieses
letztere ist, desto stärker wird auch die mit der NVieder-
erlangung des ursprünglichen Zustandes verbundene Wohl-
empfindung sein, sodaß hierin ein Anlaß zu einer mög-
lichsten Steigerung der Schmerzempfindilng im fremden
Körper liegt. Erst wenn diese so bedeutend ist, daß der
eigne Körper durchschauert wird, ist das Ziel erreicht. So
lange dagegen das Opfer die Kraft hat, die Schmerz-
empfindting zu überwinden und dem Marterer nicht merken
zu lassen, tritt auch kein Natchempfinden des Schmerzes
ein, und die Absicht der Grausamkeit ist verfehlt. Daher
kommt es, daß der Indianer, der sein Opfer martert, erst
dann in Jubel ausbricht, wenn das Opfer zu wimmern und
zu schreien anfängt, selbst aber nichts empfindet, so lange
das Opfer standhaft jede Schmerzensätißerung unterdrückt.
Es liegt also hier eine zur Erzeugung eines Wohlgefühles
absichtlich hervorgebrachte Schmerzempfindting vor, welche
real im fremden Körper erlebt, der eignen Psyche da-
gegen durch die Vorstellungsfähigkeit vermittelt wird: diese
letztere ist somit als neues Element in den Vorgang ein-
getreten.
W ar die Vorstellungsfiihiglteit hier nur das vermittelnde
Element, so übernimmt sie auf der nächsten Stufe eine
wichtigere Rolle: der schmerzempfindende Körper wird
ersetzt durch das Bild eines schmerzetnpfindenden Körpers.
Die Welt der Realität wird verlassen, insofern der die
Nachempiindung anregende Schmerz überhaupt nicht mehr
thatsächlich empfunden wird," und der Schritt in die
ästhetische Betrachtungsweise ist vollzogen: an die Stelle
des Objektes tritt die Vorstellung von dem Objekte. Dieser
uns durch seinen alltäglichen Vorgang so selbstverständlich
scheinende Schritt schließt doch die folgenwichtigste Ent-
wickelung in sich. YVer ihn in seinen einfachsten Formen
ausführen kann, ist Mensch; wer dies nicht vermag, ist
Tier (vgl. oben S. 4). Für unsere Betrachtung bezeichnet
er aber in dieser bestimmten Form einen tmschiitzbaren