Volltext: Über Kunst, Künstler und Kunstwerke

102. DIE TRAGIK m WERKEN HELLENISCHER 
 
PLASTIK. 
lichkeit nach (vgl. Friedrich NVolters, Bausteine zur Ge- 
schichte der griechisch-römischen Plastik S. 522) im 
Originale erhalten und gestatten auch bei größeren Ver- 
letzungen eine im wesentlichen sichere Wiederherstellung. 
Nlöglicherweise sind uns aber auch noch einige Nachbil- 
dungen überliefert, welche uns das Bild der Gruppen zu 
vervollständigen helfen können. Dahin gehört eine in 
Neapel befindliche, verwundet vom Pferde sinkende Ama- 
zone, welche in der erhobenen Linken den Schild hält, 
Während der rechten Hand die Waffe entglitten ist, sowie 
ein ebendort befindlicher Krieger zu Pferde, mit der 
Rechten zum Schwertschlage ausholend, den Schild in der 
Linken. Der letztere besonders ist stark ergänzt, die 
Arbeit bei beiden Werken eine geringe, die Richtung auf 
realistische Darstellung jedoch dieselbe, manche Einzelheiten, 
wie die Brustbildung der Amazone ganz übereinstimmend, 
während das Raffinement in der Technik, wie in dem durch 
das Gewand durchscheinenden Nabel bei der Amazone, 
bedeutend zugenommen hat. 
So spärlich auch diese Reste sind, so genügen sie doch, 
um uns die Gebiete des Emphndens deutlich erkennen zu 
lassen, auf welche der Künstler vorzugsweise wirken wollte. 
Läßt schon der Gegenstand, leidenschaftliche Kämpfe, 
heftige Aufregung des Gemütes erwarten, so zeigen die 
Reste, mit welchem Geschicke der Meister es verstanden 
hat, aus diesen Kämpfen die Momente hervorzuheben, 
welche seinen Absichten am meisten entsprachen: Er- 
schütterung des Gemütes durch überraschenden, heftig und 
unvermeidlich hereinbrechenden Tod, durch angst- und 
entsetzenerfüllten Versuch der Abwehr des dennoch un- 
ausweichlichen Verderbens, und daneben ergreifende Weh- 
mut über die langsam, aber unabänderlich entweichende 
Lebenskraft, die wie ein in der Ferne verklingendes Echo 
dahinschwindet und sich dem Tode als dem erlösenden 
Freunde willig ergiebt, beides aber mit dem nicht geringen 
Vermögen gesteigerter Kunstübung und der durch sie 
geförderten Kühnheit in der Erfassung und Darstellung des 
Augenblickes zum Ausdrucke gebracht. So wird es nicht 
viele kühnere Konzeptionen geben als den rücklings durch
	        
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