DIE TRAGIK IN WERKEN HELLENISCHER PLASTIK.
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Tracht der Perser nicht entspräche, trotz der für diese
charakteristischen Hosen ein Gallier dargestellt sei, so liegt
darin eine Verkennung des auch diesen historischen Dar-
stellungen zu Grunde liegenden, sich ihnen aber nicht
sklavisch unterordnenden künstlerischen Gesichtspunktes, der
auch in anderen Werken verwandter Richtung siegreich
durchbricht. Auch Laokoon ist, obgleich er sich am Altare
betindet, nackt und nicht im priesterlichen Gewande. Aber
gerade der Altar genügt, ihn als Priester zu kennzeichnen:
der realen Wahrheit ist Genüge gethan, und der Künstler
darf nun frei seinem künstlerischen Ziele folgen.
Betrachten wir von diesem Gesichtspunkte aus die als
zum Weihegeschenk auf der Akropolis gehörig erkannten
Reste, so ergiebt sich, daß fast alle vier Gruppen vertreten
sind. Außer der unverkennbaren Amazone (7)96) und dem
bereits genannten Perser beide in Neapel, sind die
Gallier verhältnismäßig zahlreich erhalten. Sie sind am
Gesichtsausdruck, dem nicht gymnastisch durchgebildeten
rohen Körper, besonders aber an dem wilden, struppigen
Haare sicher zu erkennen. Zu ihnen gehören zwei un-
bekleidete Krieger, in Venedig (I) und in Paris sowie
der am Oberkörper leicht bekleidete in Venedig Tritt
hier schon ein Unterschied in den äußeren Merkmalen ein,
soweit sie unwesentlich sind, und darf als sicher angenommen
werden, daß die Gallier nicht ganz schutzlos in den Kampf
gegangen sind, am allerwenigsten aber, nachdem sie mit
wohlgerüsteten Völkern längere Zeit Krieg geführt und
von ihnen Waffen oder Rüstungsstücke erobert hatten, so
werden wir uns nicht wundern, auch einen behelmten
Gallier zu finden (8, in Neapel), woran der Umstand nichts
ändert, daß vielleicht der angesetzte Kopf nicht ursprünglich
zu diesem Rümpfe gehört hat. ja, man darf vielleicht gerade
diese Behelmung als einen porträtartigen, gewiß für viele
Gallier charakteristischen Zug in Anspruch nehmen: sie
haben sich sicherlich oft rnit den Beutestücken der besiegten
i) Die Reste sind in Overbecks nGeschichte der griechischen
Plastiku auf einer Übersichtstafel zusammengestellt; die dort gemachte
Numerierung ist hier zu rascherer Orientierung beibehalten und im
Texte in Klammern hinzugefügt. M
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