Volltext: Über Kunst, Künstler und Kunstwerke

Em GRUNDPROBLEM DES KUNSTGEWERBES. 91 
mit Welcher die moderne Zeit das Kunsthandwerk bedroht, 
leichter abwenden, als es ohne solch gebildeteres Urteil 
der Fall sein möchte. Diese größte Gefahr aber besteht 
in der durch die Maschine mehr als jemals früher geför- 
derten und von dem Publikum aus Billigkeitsrücksichten 
gewünschten Massenproduktion: das Kunsthandwerk wird 
durch sie mehr und mehr zur Kunstindustrie. 
je größer die Anwendung der Maschine ist, desto 
mehr wird mit der Hand zugleich der Ausdruck der Per- 
sönlichkeit zurückgedrängt: an Stelle der Unmittelbarkeit 
der Formensprache tritt die seelenlose Regelmäßigkeit, 
Welche mehr das Erstaunen über die besiegte Schwierigkeit, 
als die Freude über eine nach harmonischer Gestaltung 
ringende Thätigkeit bewirkt, also mehr den Eindruck des 
Kunststückes als den der Kunstschöpfung erzeugt. Mangelt 
aber bei dem Schöpfer der Ausdruck persönlich empfundener 
Thätigkeit, so stumpft sich bei dem Beschauer die Em- 
pfindungsfähigkeit für das künstlerische Schaffen und damit 
die wesentliche Voraussetzung eines über das Bewußtwerden 
regelrechter Verhältnisse hinausgehenden ästhetischen Ge- 
nusses ab. Nun wird aber ferner die Massenproduktion 
das Bestreben haben, Formen, welche in kostbareren Stoffen 
Beifall gefunden haben, auch in billigeren Stoffen auszu- 
nutzen. Geschähe das mit Berücksichtigung der Natur 
dieser Stoffe, sodaß eine entsprechende Umgestaltung statt-- 
fände, so wäre das der durchaus berechtigte Vorgang des 
Stoffwechsels: an Stelle des Teppichs tritt die Tapete, 
welche die durch den Wechsel der Technik unabhängig 
gewordne Form, auch wenn sie die Erinnerung an den 
Teppich festhält, dennoch unendlich freier und mannig- 
faltiger gestalten kann, als es die Technik der Weberei je 
gestattet hätte. In der Regel aber wird dies Ersetzen da- 
hin gehen, dem billigeren Stoffe das Aussehen des kost- 
bareren zu geben: der Stoffwechsel geht auf Täuschung 
aus, die Tapete soll aussehen, als ob sie ein Gewebe wäre, 
statt daß unter Bekennung ihres Stoffes und unter Ver- 
wertung der durch die Technik des Druckes gebotenen 
Erleichterungen und Erweiterungen des Formengebietes nur 
eine Erinnerung an den Teppich festgehalten und erstrebt
	        
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