Löwen und andere dem Morgenlande angehörende Tierbildungen
lagen den Gefässmalern völlig fern. In ihrer volkstümlichen Kunst
führten sie nur bekannte Gestalten vor: Pferde, Hirsche, Hasen,
Schmetterlinge, vor allem aber Polypen, Seeschnecken, Wasservögel,
Fische in so grosser Anzahl, dass diese ganze Malerei nur an einem
Küstenorte entstehen konnte, der nach der Pflanzenornamentik zu
schlissen, von üppiger Vegetation umgeben war.
Zu den Seiten der Fig. 17 befinden sich zwei sehr häufig
auf Vasen und lntaglien vorkommende Gebilde mit einem be-
krönenden Strahlenkranze. Ein Zurückgehen des letztern auf die
Palmette erscheint sehr unwahrscheinlich, eher dürfte wohl das
Umgekehrte anzunehmen sein. Die Bekrönung mit Halbkreisen,
Strahlen und Punktkreisen, oft in mehrfacher Anordnung ist in
der mykenischen Malerei ungemein beliebt, während die ägyptische
Palmettenbildung vollständig fehlt; alle den Blumenkelchen ent-
wachsende Gebilde, Staubfäden und Staubbeutel erscheinen unmittel-
bar der Natur entlehnt zu sein.
Fig. 18. Ein baumartiges Gewächs, das auf Gefässen, wie
auf Intaglien zur Darstellung kam und manchen Gebilden auf
chaldäischen Cylindern nicht unähnlich ist. Durch die Blattkrone
und die beiden von ihrem Ansatze nach abwärts gerichteten Zweige
ist in ihm die Nachbildung eines Palmbaumes zu vermuten.
Besonders bestärkend hiefür wirkt die etwas naturalistischere
Darstellung desselben auf einem Inselstein (bei Furtwängler) und
diejenige auf dem Becher von Vafio. Als flüchtige Naturskizze
ohne tiefere Bedeutung ist dieses Gebilde kaum aufzufassen, dagegen
spricht seine gleichförmige Wiederholung auf den Gefassen und
seine vielfache Ähnlichkeit mit assyrischen und persischen Säulen-
formen. Dem Stamme sind, um das kahle Aufsteigen zu maskieren,
Blattstauden, Spiralen u. s. w. beigegeben. War der Raum der
Höhe nach auf den Gefassen nicht ausreichend, so gab man der
Pflanze, wie in unserer Figur, eine Seitwärtsneigung mit genauster
Beobachtung der Bewegungsgesetze, die, wohl schon früher erkannt,
hier aber zum erstenmale in reicherer Gestaltung zur Erscheinung
kommen.
Nach diesem Gesetz dürfen die Einzelteile eines sich abbiegenden
Pllanzengebildes die symmetrische Lage zur Hauptlinie nicht ver-
Reichhold, Zeichenunterricht. 4