Der
zweiteilige
Blumenkelch.
Während alle Blumen des ägyptischen Stils, die nicht lediglich
der Dekoration dienen, also jene, die auf Opferaltären niedergelegt
oder von Personen getragen werden, stets nur in der einen Form
des vielblättrigen Kelches auftreten, findet sich als Dekorations-
motiv schon frühzeitig ein Blumenkelch, der, in der Mitte
gespalten, sich zu beiden Seiten gleich den Blättern einer
Lilie überneigt. Auch diese Form will Goodyear, wie alle
übrigen Lotosgebilde, einer alles beherrschenden Symbolik ent-
springen lassen, während Riegl ihr das überaus künstlich gedachte
Entstehen aus der Nachbildung der "halben Vollansicht" der Lotos-
blume zu Grunde legt. Einem unbefangenen Blick kann sie jedoch
nur als das Ergebnis rein künstlerischer und durchaus naiver
Thätigkeit erscheinen.
Die älteste Variation dieser Blüte findet sich in jenen Gräbern
des alten Reiches, deren Wände im Innern die Kopie einer aus
aufrecht stehenden Balken gebildeten Holzverkleidung tragen.
Rechteckige Zwischenräume, die im obern Teile der Wand von
den Hölzern gebildet werden, sind metopenartig mit zwei lang-
stieligen, oben zusammengebundenen und symmetrisch angeordneten
Lotosblumen geschmückt. Die Symmetrie erstreckt sich also hier
zum erstenmal auch auf die Zusammenstellung zweier Piianzen-
gebilde. Entweder treten nun die Blüten in der einfachen Umriss-
zeichnung auf Perrot sieht hierin die Blätter des Lotos
oder in der gewöhnlichen Gestalt der Lotosblume mit verküm-
mertem oder auch ganz mangelndem Mittelblatt. Die Seiten-
blätter sind aus Gründen schöner Raumausfüllung stark zurück-
gebogen und legen in dieser bedeutungsvollen Bildung Zeugnis
von dem Formgefühl und der zeichnerischen Begabung der alten
Ägypter ab.
In der Kunst des alten Reiches tragen ausserdem nur noch