dass man bald bei jedwelcher Verzierung dem Wurf des Webe-
schiffchens oder dem Stiche der Nadel folgen zu können glaubte.
Erst Münz (La tapisserie) und Ronchaud (La tapisserie dans
Tantiquite) teilen die Ansicht von der hohen Bedeutung der Textil-
kunst nicht in dem vollen Semperschen Sinn, und Milchhöfer 1)
(die Anfänge der Kunst in Griechenland), sowie Riegl (Grund-
legungen zu einer Geschichte der Ornamentik) weisen dieselbe
überhaupt als unhaltbar zurück.
Fig. 12. Der Lotoskelch in der am häufigsten dargestellten
Form, wie er sich Jahrtausende hindurch von der Frühzeit bis
zur Schlussepoche der ägyptischen Kunst gleichförmig erhalten
hat. Er zeigt eine absolute Symmetrie, d. h. seine Bildung
ist derart, dass bei einem Zusammenlegen nach der Mittellinie sich
beide Teile in allen ihren Einzelheiten decken.
Der Stiel der Pflanze ist seiner ganzen Länge nach gleich
breit. Der glockenförmige Kelch spaltet sich nicht weit von
seinem Ansatze in 3 Blätter, von denen das mittlere senkrecht
aufsteigt, während die beiden andern sich so zur Seite neigen,
dass ihre äussere Kurve eine Wellenlinie bildet, deren Wendepunkt
ungefähr in der Mitte zwischen Ansatz und Spitze liegt. Die
Zwickel, die das Auseinanderlegen der Seitenblätter ergibt, werden
durch andere, sich Weniger seitwärts neigende Blätter ausgefüllt,
deren Spitzen mit jenen der drei Hauptblätter an einen Kreisbogen
stossen, dessen Mittelpunkt nahe dem Kelchansatze liegt.
Fig. 18. Die Rosette, noch heute wie vor Jahrtausenden
ein allbeliebtes Dekorationsmotiv, ist das Bild einer von oben
gesehenen, vollentwickelten Blumenkrone. ln der ältesten Kunst
zeigt sie eine gebundene, wenig freie Form; dem einfachen Mittel-
scheibchen entspringen 4, 6, 8 oder 12 in einem Kreis zusammen-
gefasste, gleichbreite Blätter, deren Seitenränder auf den Kreismittel-
punkt zulaufen und deren oberer Abschluss fast stets bogenförmig ist.
1) S0 setzen wir bei allen Völkern gemeinsame Anfange in der
blldenden Kunst voraus: als ältestes Ziel fand sich das Ornament, als
ältestes Material Holz, Knochen, weicher Stein und Thon, als ältestes
Werlflßug das scharfe Instrument zum Ritzen und Schneiden. Die
Grarier- und Schnitzkunst bildet denn auch in der That die Grundlage
Ä" Jßfle weitere Entwicklung: sie lieferte erst die Formen für die
leclmlk des Auspragens, Treibens, Giessens, sie wird Vorläufer der
Rehefkunst