zugleich aber alles tieferen künstlerischen und sittlichen Haltes
und Ernstes entbehrten 1). Lodovico Caracci, der im Jahre 1555
geboren und unter den Einflüssen der neuen Zeitrichtung gross
geworden war, konnte, obschon er selbst die Schule jener Meister
durchgemacht, sich in dieser Auffassung nicht befriedigt fühlen.
Schon früh wurde er so zu seinen reformatorischen Ideen ge-
drängt. Solche Reformen bestehender Kunstweisen aber können
nur das Werk fester Ueberzeugung, vollkommen klaren Bewusst-
seins, ernster Gewissenhaftigkeit sein; das zeigt nun Lodovico
in seinem ganzen Wesen recht deutlich. Bei aller seiner Bega-
bung ist es doch nicht die unmittelbare künstlerische Begeiste-
rung, nicht die Macht des Genies, die ihn beseelt. ln den Augen
seines entschlossenen, kühnen, wie die Manieristen überhaupt,
rasch fertigen Lehrmeisters Prosper Fontana, so wie in denen
des Tintoretto, der wenigstens im Punkte der Kühnheit mit
Fontana verwandt war, erschien er geradezu unfähig; man rieth
ihm wohlmeinend, eine andere Profession zu ergreifen; man
mochte ihn wohl zum Farbenreiber eher geeignet halten, als
zum Maler; seine Mitschüler, in denen sich das Urtheil des Mei-
sters, wie gewöhnlich, in scharferer Weise rellektirte, nannten
ihn geradezu mit einem Spitznamen, wie das Leben in den Ate-
liers dies leicht mit sich bringt, den Ochsen. Dass die Lang-
samkeit Lodovicds keineswegs Folge seiner Unfähigkeit, sondern
seiner Gewissenhaftigkeit war, konnten sie nicht begreifen, da
jene stille und gewissenhafte Hingabe des Künstlers an sein
Werk, die den Ruhm der früheren Zeiten ausgemacht hatte,
längst aus den Gemüthern geschwunden war. Diese Gewissen--
haftigkeit nun aber war es, die unsern Lodovico auf seinem gan-
zen späteren Bildungswege leitete. Sie führte ihn nach Venedig,
wo er unter Tintoretto, nach Florenz, wo er unter Passignano
arbeitete. Hier waren es die Werke des Andrea del Sarto, nach
denen er sich zu bilden suchte, in Parma die des Correggio und
Parmigianino. In Rom ist er nicht gewesen oder erst sehr spät,
nachdem die Zeit des Lernens vorüber war. Darin liegt auch
1) So fassten schon ernstere Beurtheiler im siehzehnten Jahrhundert
selbst die Sache auf. Der Graf Malvasia namentlich ist es, der die später
allgemein gültige Ansicht über diese Schule ausgesprochen hat, so dass
auch die Bezeichnung "Manier und Manieristen" auf ihn zurückzuführen
ist. Er Spricht i_n der: Einleitung zu den Lebensbeschreibungen der Caracci
von einer „mame1_'a insomma lontana dal verisimile, non ehe dal vero,
totalmente chimenca e ideale" und von einem „eerto fare sbrigativo e
aßatto manieroso". Felsina pittriee ll. 358.