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Dieser Tage bin ich in Mailand gewesen und habe dort
Dinge gesehen, die mich wahrhaft in Staunen versetzt haben.
Ich will Euch nicht von dem Abendmahl des Leonardo da Vinci
in dem Kloster delle Grazie sprechen, welches in der That etwas
Wunderbares gewesen sein muss; jetzt aber erregt es Mitleid,
indem es ganz voller Flecken und schwarz geworden ist, und
zwar, wie ich glaube, aus Schuld des Malers, der, ein wie grosser
Mann er auch gewesen, doch nicht die wahre Art kannte, wie
auf Mauern zu malen ist. In der Kirche delle Grazie habe ich
eine Tafel von Gaudenzio (Ferrari) mit einem h. Paulus in der
Verzückung und einer Landschaft von so schöner Art gesehen,
dass vielleicht Rafael selbst sie nicht schöner und besser gemacht
haben würde. Dabei ist eine Kapelle der Passion, al fresco aus-
gemalt mit einer unendlichen Mannigfaltigkeit von Köpfen, Fi-
guren und Gewandungen, und eine Geisselung Christi an der
Säule, so ergreifend und das Ganze mit solcher Leichtigkeit,
dass es eher mit einem Hauche, als mit einem Pinsel gemacht
scheint.
In einer zu einem Nonnenkloster gehörigen Kirchel), nicht
weit von S. Arnbrogio, auf deren Namen ich mich nicht mehr
besinnen kann, finden sich verschiedene Sachen von Bernardino
Luini, dem Vater eines Luino, der in Mailand viele Werke hin-
terlassen hat, die aber von geringerem Werthe als die des Va-
ters sind.
Wenn Vasari diese Sachen gesehen, und wenn er Augen
hatte um das Gute zu erkennen, so musste er nothwendig dar-
über erstaunt sein. Bei den Mönchen della Pace habe ich auch
Bilder dieses vorzüglichen Künstlers (Bernardin0 Luini) und ei-
nes gewissen Marco da Uglione (Oggione) gefunden, der viel-
leicht rascher gearbeitet hat, aber sonst nicht mit Bernardino zu
vergleichen ist. Ich habe mich überzeugt, dass Mailand auch an
andern vortrefllichen Malereien reich ist und werde binnen Kur-
zem dorthin zurückkehren.
Maurizio.