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Das Reissen (Zeichnen) ist in Wahrheit eine nützliche und
wackere Kunst, da man mit Schwarz und Weiss, als Dunkel und
Licht, die Dinge meistentheils so vorstellen kann, dass man sie
erkennt, ja, da man mit Zeichen, Buchstaben und Linien nicht
allein alle Künste und Wissenschaften, sondern auch die Gesetze
und den Gottesdienst fortpllanzen und ferner den Nachkommen
allerlei Dinge auf langdauernde Zeit erhalten kann. Die Maler-
kunst aber hat nicht allein dies Alles voraus, sondern sie ahrnet
auch noch überdies das Leben viel netter und natürlicher nach,
und drücket Alles viel vollkommener aus, als die Zeichenkunst
Adies vermag, indem sie die Sitten, Nutzbarkeiten und Ergötzun-
gen des menschlichen Geschlechts angenehm und kräftig vor
Augen stellt und also auch zugleich das Gedachtniss und die
Einbildung in Thatigkeit setzt. Daraus entspringt dann aber
sicherlich grosser Vortheil und Nutzen, worunter der nicht der
geringste ist, dass Tugend und Untugend vorgestellt werden,
und das Alterthum und die Geschichte in frischem Gedachtniss
bleiben, wenn sie nur die Maler richtig verstanden und nicht, wie
es wohl zu beklagen ist, bisweilen verfälschten und vernichteten.
Hieraus sieht man nun, was für eine vortreffliche und edle
Kunst die Malerei ist, und man kann daraus abnehmen, in wel-
cher Achtung ein verständiger und erfahrener Maler gehalten
werden müsse, besonders wenn er sich gut, nüchtern, sittsam
und bescheiden hält, wie dies denn wirklich mit seiner Kunst
sehr wohl übereinstimmt. So ist es denn kein Wunder, dass
wackere Künstler in denjenigen Zeiten und Ländern grosses
Ansehen und grosse Ehre genossen haben, in denen die Wissen-
schaften und Künste blühten und treffliche Männer durch Ehre
und Belohnungen, wodurch dieselben allein unterhalten werden,
aufgemuntert und angefeuert wurden.
Und dieses würden wir mit vielen Zeugnissen aus den alten
und neuen Historien weitläuftig beweisen können. Weil es aber
von Andern schon zur Genüge geschehen, und Niemand daran
zweifelt, so halten auch wir es nicht für nothwendig. Wie aber
diese beiden Künste aufgekommen sind und welchen Fortgang