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ohne sie zu beeinträchtigen. Wenn Sie sich übrigens meines
ersten Briefes erinnern, den ich in Betreff der Bewegungen der
Figuren schrieb, welche ich auf dem Bilde anbringen wollte, und
wenn Sie dann zu gleicher Zeit dasselbe betrachten wollten, so
glaube ich, würden Sie leicht diejenigen darunter erkennen,
welche von der Ermattung oder von Bewunderung ergriffen
sind, so wie diejenigen, welche Mitleid haben, oder welche in
einer Handlung der Mildthätigkeit, grosser Noth oder Begierde
begriffen sind, oder solche, die sich trösten und erquicken und
andere: denn die ersten sieben Figuren zur Linken werden Ih-
nen Alles das aussprechen, was ich hier geschrieben habe und
alles Uebrige ist ähnlichen Inhalts; lesen Sie zugleich mit dem
Bilde die Geschichte, um zu erkennen, 0b alles Einzelne dem
Gegenstand angemessen ist.
Und wenn Sie nach wiederholter Betrachtung einiges Ge-
fallen daran gefunden haben, so theilen Sie es mir mit, ohne
irgend etwas zu verhehlen, damit ich mich freuen kann, Ihnen
beim ersten Male, dass ich Ihnen diene, genug gethan zu haben;
wo nicht, so verpflichten wir uns zu jeder Art Busse, indem wir
Sie dringend ersuchen, es noch in Betracht ziehen zu wollen,
dass der Geist willig, das Fleisch aber schwach ist".
In einer Nachschrift bemerkt Poussin, dass er an Herrn
Stella, seinen Freund, den bekannten Maler in Lyon (s. Nr. 63)
schreiben werde, um ihm die Weiterbeförderung des Bildes auf-
zutragen. Dies hat er gethan und in dem betreffenden Briefe
spricht er sich in ähnlicher Weise über den Gedanken seiner
Komposition aus, wie in dem an Herrn von Chantelou. Er habe,
sagt er darin, gesucht, die verschiedenen Empfindungen und
Leidenschaften zu schildern, die sich in dem jüdischen Volke bei
dieser Gelegenheit kundgegeben und zwar je nach dem Alter und
Geschlecht der dargestellten Personen in verschiedener Weise.
Alles Dinge, von denen er hoffe, dass sie denjenigen nicht miss-
fallen würden, die sie gut zu lesen verstanden. Und er durfte
dies in der That von jenem Werke sagen, das als eine seiner
vollendetsten Kompositionen betrachtet wird. Lebrun hat das-
selbe in einer Sitzung der französischen Akademie der Malerei
am 5. November 1667 zum Gegenstande seines Vortrages ge-
wählt und darin eine sehr ausführliche Beschreibung und
Analyse des Bildes gegeben, welches er sodann gegen die Ein-
Wendungen einiger Mitglieder vertheidigte. Die Akademiker
stimmten ihm darauf einstimmig zu. Felibien ConfereneeS