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halten, um dem Dekorum der Handlung nicht zu widersprechen,
und es darf der Maler die edlen und grossen Dinge nicht mit
hastigem Pinsel übergehen, um sich in der Behandlung der nie-
deren und gewöhnlichen Dinge zu verlieren. Daher bedarf der
1513161" nicht blos des Geschickes, sich einen Gegenstand zu er-
finden, sondern auch des Urtheils, um denselben zu ergründen,
und er wird sich stets einen solchen erwahlen müssen, der von
Natur jeglicher Verzierung und Vollendung fähig ist; die da aber
niedrige Gegenstände behandeln, nehmen zu diesen nur Wegen
der Schwache ihres Geistes ihre Zullucht. Die Gemeinheit der
Gegenstände ist daher vor Allem zu verachten, sowie die Nie-
drigkeit solcher Vorwürfe, die keiner künstlerischen und ver-
schönernden Darstellung fähig sind. Was dagegen die Idee (das
Motiv, concetto, vergl. oben S. 96) anbelangt, so ist dieselbe ein
reines Erzeugniss des Geistes, der die Dinge zu durchdringen
strebt, wie z. B. der Gedanke Homers und Phidias" im olympi-
schen Zeus, der mit dem Winke seiner Augen das Weltall er-
schüttert; nach dieser Idee der Dinge aber muss auch die
Zeichnung derselben geregelt sein. Der Bau, die Anordnung
oder die Komposition der Theile darf nicht gesucht und durch
das Studium herbeigeführt erscheinen, und weder Absichtlich-
keit noch Mühe zeigen, sondern ganz der Natur entsprechen.
Was schliesslich den Styl betrifft, so ist dies eine besondere
Manier und Art zu zeichnen und zu malen, die aus dem beson-
deren Genius eines Jeden in der Anwendung und dem Gebrauch
der Ideen hervorgeht; welcher Styl, den man auch Manier oder
Geschmack nennen kann, ebensowohl eine Sache der Natur als
des Geistes istw
vDie Idee der Schönheit kann nicht in die Materie (den
Körper) übergehen, wenn diese nicht zuvor so viel als möglich
zu deren Aufnahme vorbereitet ist; diese Vorbereitung aber be-
steht aus drei Dingen, der Ordnung, dem Maass und endlich der
Form oder der Erscheinung. Die Ordnung bedeutet die Anein-
anderreihung und die Intervalle der einzelnen Theile; das Maass
bezieht sich auf die Quantität; die Form zeigt sich in den Linien
und Farben. Die Ordnung und die Intervalle der Theile genü-
gen nicht allein, noch dass die Glieder des Körpers ihre natür-
liche Lage haben, wenn. nicht das Maass hinzukommt, wonach
jedem Gliede die gehörige Grösse und das richtige Vefhältnisg
zum Körper gegeben wird, und wenn nicht ebenso auch die
Form dazu mitwlrkt, damit die Linien gefällig gezogen seien,
und die Lichter in anmuthiger Harmonie mit den Schatten ver-