Volltext: Kunst und Künstler des siebzehnten Jahrhunderts (Bd. 2)

XIX 
Der Verfall und das Sinken einer einmal blühenden Kunstweise 
beruht nur selten, vielleicht niemals, auf der Verirrung der 
Künstler allein. Fast immer tragt die Zeit selber einen Thcil 
der Schuld davon. Dies war auch hier der Fall. Die lllanie- 
risten folgten den Bewegungen und Veränderungen, welchen die 
Gesammtheit der Zeitgenossen unterlag, und denen sich nur in 
den seltenen Fällen äusserster Begabung ein Künstler ganz zu 
entziehen vermag. Aber auch diese neuen Kunstzustände soll- 
ten nicht allzu lange andauern. Wie es dem Menschen nicht 
vergönnt ist, lange auf den Höhepunkten der Vollendung zu 
weilen, und ihn die Schwere seiner Natur wieder in die Tiefe 
zu ziehen bemüht ist, so harrt er auch nicht lange in der Tiefe 
aus, und die edleren Elemente seines Wesens werden stets das 
Streben nach jenen Höhepunkten wach und rege erhalten. Und 
so lässt sich denn in der That gegen das Ende des sechszehnten 
Jahrhunderts ein unverkennbarer Aufschwung der italienischen 
Kunst wahrnehmen. 
Betrachten wir diesen Aufschwung zunächst von der rein 
kunstgesehichtlichen Seite, so darf es wohl als bekannt voraus- 
gesetzt werden, dass sich derselbe nach zwei verschiedenen 
Richtungen hin kundgab, und dass sich damals zwei Schulen 
bildeten, die, obschon unter sich im heftigsten Gegensatz, doch 
gemeinschaftliche Sache in dem Kampf gegen den Manierismus 
machten. Es sind dies die Schulen der Akademiker und der 
Naturalisten. Beide gingen von der Ueberzeugung aus, dass die 
Herrschaft des hohlen und falschen Idealismus gebrochen, und 
ein anderer Gehalt und andere Formen an dessen Stelle gesetzt 
werden müssten. Um zu diesem Zwecke zu gelangen, konnte 
man zwei verschiedene Wege einschlagen. Man konnte sich 
einerseits in Bezug auf den Gehalt und die gesammte Auffas- 
sungsweise den Meistern der Blüthezeit, und in Bezug auf die 
Formen dem Studium der Natur wieder zuwenden, dHS Von den 
Manieristen fast durchaus vernachlässigt worden war. Man konnte 
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