XVI
Nur wenn man diese allgemeinen Verhältnisse beachtet,
wird man den Manierisnlus in der Kunst richtig beurtheilen
können. Allerdings wird man dessen Schöpfungen, die sich in
auf die Erkenntniss des künstlerischen Bewusstseins jenes Zeitalters, von
grosser Bedeutung sind. Es ist in den nachfolgenden Untersuchungen
mehrfach darauf hingewiesen; doch bietet dieser Gegenstand, sowie die
gesammte KunSt- Literatur des 17. Jahrhunderts, noch immer Stoff zu Unter-
suchungen dar, die von der Kunst-Wissenschaft mit Unrecht vernachlässigt
worden sind. Von dem vorletzten Jahrzehend des 16. Jahrhunderts an
beginnt eine Reihe von kunst-wissenschaftlichen Werken, theils theore-
tischen, theils praktischen Inhalts, an denen sich (namentlich an den
ersteren) die verschiedenen Phasen des künstlerischen Bewusstseins in
überraschender Weise verfolgen lassen, um so mehr, als ein grosser Theil
dieser Werke, von Jost Amman's Kunst-Büchlein an, von praktischen
Künstlern herrühren. lch erinnere hier nur an die Werke von Lomazzo,
Armenini, Vasari, Zuccaro, Paggi, van Mander, Carducho, Pacheco, Pader,
Dufresnoy, Boschini, Baldinucci, von Sandrart, Beurs, Houbraken, Pale-
mino u. a., die zum Theil in den nachfolgenden Blättern besprochen sind,
zum Theil eine zusammenhängende Bearbeitung noch zu erwarten haben.
Das oben erwähnte Werkchen Zuccaro's ist in breiter und sehr künstlicher
Weise geschrieben, und zerfällt in zwei Bücher. Das erste Buch handelt
von der inneren Zeichnung, sowohl im Allgemeinen, als auch im Beson-
deren. Das zweite Buch von der äusseren Zeichnung, namentlich der
den Bildhauern, Malern und Architekten gemeinsamen. Die innere Zeich-
nung „disegno interne" ist der in unserm Verstande gebildete Begriff
(il concetto formato nella mente nostra), um irgend eine beliebige Sache
zu erkennen und äusserlich dem Wesen der Sache gemäss darzustellen.
Jener Begriff nun aber bildet sich nicht blos im Verstande des Malers,
sondern in jedem andern denkenden Wesen, und es wird nach der ver-
schiedenen Art und Weise dieser Letzteren, auch verschiedene Arten
innerer Zeichnung geben. Nun giebt es aber drei Intellektual-Substanzen:
Gott, die Engel und die Menschen, woraus die Existenz einer dreifachen
inneren Zeichnung: einer göttlichen, englischen (angelico) und mensch-
liehen hervorgeht. Von diesen wird nun zunächst die göttliche besprochen
und dabei auf das Mysterium der h. Dreieinigkeit, sowie auf platonische
und aristotelische Ideen zurückgegangen. In Gott sind die Ideen aller
Dinge, die Ideen aber bilden die Formen der Dinge. So ist in der gött-
lichen Majestät zugleich die innere Zeichnung enthalten, womit er alle
geschaffenen Dinge versteht und das ganze Universum als Objekt seines
göttlichen Intellektes unterscheidet, welcher letztere wieder nicht von ihm