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technischen Fertigkeit, andererseits aber auch durch tiefere,
im Leben der Zeit selbst liegende Gründe bedingt ist. Will
man jene kurzen Jahrzehende der Blüthe in wenigen Worten,
Wenigstens nach einer Seite hin, charakterisiren, so kann man
dieselben, wie ich dies früher einmal gethan, als die Zeiten
bezeichnen, in denen die klassische Welt und Kunstanschauung
sich mit der christlichen zu einer wunderbaren Einheit und
Harmonie verschmolzen hatte, und in Welchen man nach nichts
Anderem strebte, als nach der vollendeten, durch ethischen
Gehalt geadelten Schönheit der Formen, gleichviel, 0b deren
specieller Inhalt christlich oder heidnisch war. Eine solche
Kunstweise, in der sich damals zugleich die geistige Richtung
und die Bildungsstufe des ganzen Volkes aussprach, bleibt
erfreulich, so lange die ihr angehörenden Meister sich die
stille Sammlung und die gleichmässige reine Stimmung des
Gemüthes bewahren, wie etwa Rafael und Michel Angelo sie
gehabt, und sich mit Liebe und Hingabe der künstlerischen
Produktion, nur um ihrer selbst Willen, widmen. Nun aber
macht sich im Verlaufe des sechszehnten Jahrhunderts, anstatt
jener stillen Sammlung, gar bald eine gewisse Hast und Lei-
denschaftlichkeit in den Gemüthern der Menschen geltend, und
die Künstler, dem Zuge der Zeit nachgebend, übertragen diese
Stimmung nur allzu rasch in ihre Kunstübung. Die Schwierig-
keiten der Technik waren überdies bis zur Virtuosität über-
wunden, und so lag auch von dieser Seite kein Hinderuiss vor,
den so veränderten Sinn der Zeit zum künstlerischen Ausdruck
zu bringen. Die Kunstweise, die daraus hervorging, pflegen
wir mit dem schon im siebzehnten Jahrhundert gebräuchlichen
Namen des Manierismus zu bezeichnen (S. u. S. 34). Das Wesen
dieser Kunstweise besteht in der äusserlichen Beibehaltung der
Formen und Darstellungsmittel, deren sich die grossen Meister
der Blüthezeit bedienten, ohne dass aber damit die Beibehal-
tung des Geistes und der Gemüthstiefe dieser Meister ver-