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GUIDO RENI.
Zu der bescheidenen Kunstweise des Domenichino steht
die des Guido Reni (1575-1642) in einem eigenthümlichen
Gegensatz. Jener war schlicht und einfach, mehr auf tiefe und
ernste Begründung des Gegenstandes und treuen Ausdruck
wirklicher Empfindung, als auf äusserliche Wirkung gerichtet.
Dieser kühn und frei, rasch und entschieden im Arbeiten, mehr
auf ein gewisses allgemeines Ideal und die Erreichung einer
bestimmten Wirkung gerichtet, gleichviel, 0b dieselbe, wie im
Anfang seiner künstlerischen Laufbahn, eine düstere, mächtige
und imponirende sei, oder, wie in späteren Werken, eine vor-
nehm gefällige, einschmeichelnde. Malvasia, der mit beiden
Künstlern befreundet war, hat, ausser dem schon oben bei Do-
menichino angeführten Gegensatz, Domenichino die Tiefe des
Wissens und die Wahrheit im Ausdruck der Leidenschaften
und Empfindungen nachgerühmt, Guido Reni rühmt er nobilta
und himmlische Ideen (celeste idee) nach. Unter Nobiltä ist hier
nicht der wahre innere Adel des Gedankens zu verstehen, son-
dern eine gewisse äusserliche Noblesse, ein vornehmer Anstand.
Ganz dasselbe sagt Annibale Caracci von ihm aus, in einem Briefe
an Lodovico: win Beziehung auf eine gewisse Anmuth und Ma-
jestät, die seine eigentlichen Gaben sind, ist er unübertrefilichw
Auch hier ist Majestät in einem mehr äusserlichen Sinne zu
fassen. Und in der That, Guido Reni ist der Maler jener No-
blesse und Majestät, die recht eigentlich den Gegensatz zu der
schlichten, aber innerlich tieferen und wahreren Kunstweise des
Domenichino bildet. Man kann sagen, dass auch die Charaktere
und die äusseren Lebensverhältnisse der beiden Meister in
einem ähnlichen Gegensatze stehen. Domenichino einfach, still,
bescheiden; Guido voll Selbstbewusstsein, stolz auf seine Kunst,
vornehm. Wie er in der Kunst vornehm war, war er es auch im
Leben. Kein Wunder, dass er in einer Zeit, die mehr als jede
andere auf die Würde der äusseren Erscheinung Werth legte,
als der Erste aller Künstler betrachtet wurde. Kam in Domeni-
chino jene reflektirende, nach Wissen und wahrem tiefem Ge-
halt begierige Richtung des 17. Jahrhunderts zur Erscheinung,
wie sie namentlich die Caraccfs in die Kunst eingeführt hatten,
so in Guido das Streben nach persönlicher Geltung, die Freude an
äusserlicher Wirkung, die Lust an der Repräsentation, die so tief
in allen Verhältnissen des damaligen Lebens begründet lagen.