XXIII
massenhaft angehäufte Material zu bringen. Nun aber, da
dieser Zweck zum grossen Theile durch (lie bede-utenden Leistum
gen der modernen Kunstliteratur erreicht scheint, ist es erst
mügliclz uucl dienlich geworden, zu jener Individualisirung
überzugehen. Und wenn es bisher die Aufgabe war, (lie
Personen zu idealisiren, (1.11. in den Bereieh der allgemeinen
historisehen Ideen zu erheben, so kann man es jetzt als die
Aufgabe betraehten, diese Ideen zu personiiiciren, oder mit
andern Worten sie in ihrer konkretexx Existenz an und in
bestimmten Personen nachzuvfeiscn.
Zu jener Individualisirung gehürt nun aber vor Allem
die Kenntniss des Charakters derjenigen Persünlichkeiten,
die wir als Träger der künstlerischen Entwickelung zu be-
traehten haben. ,,Die kleinen Züge," sagt der oben erwähnte
Schriftsteller mit Recht, ,,die versteckten Eigenthümlichkeiten
der Künstler, sind oft die Geschichte der Kunst selbst." Für
diese giebt es aber weder einen reicheren, noch einen reine-
ren Quell, als die Briefe der Künstler. Aus den kleinen und
scheinbar unbedeutenden Aeusserungen, wie sie der dbriefliche
Verkehr mit sich bringt, lässt sich der Charakter einer Persan
oft deutlicher, als aus grossen und wohl überlegten Werken
erkennen. Gerade das achtlose ,,Sich gehen lassen", wie es
die brieüiche Mittheilung fast immer bedingt, giebt Aeusserun-
gen der Art einen besonderen Reiz, aber zugleich auch einen
besonderen Werth für die Forschung, der es gerade um die
einfache und ungeschlninkte Wahrheit zu thun ist. Es mag
hier nur kurz darauf hingedeutet werden, wie oft sich in der
unabsichtlichen Oübnbarung des Charakters im Briefe und
dessen Ausdrucksweise zugleich die Kunstweise offenbart,
welche derselbe Künstler in seinen Kunstwerken bekundet.
Man achte nur auf die unstete Weise in den Briefen des Fi-
lippo Lippi (Nr. 5 und 6), auf die Züge eines einfachen und