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lerische Prnduktion überträgt. Vollständige Erkenntniss also
kann nur dann erreicht werden, wenn wir neben und mit
dem Bilde der rein künstlerischcn Thätigkeit eines Malers
oder Bildhauers zugleieh aueh ein Bild von dessen Wesen
and Charakter, von dessen Empfindungen und Anschauungen
in Bezug auf das Wirkliehe Leben und dessen mannigfaltige
Verhältnisse gewinnen. Nun kann man aber eine wahrhaft
künstlerisch organisirte Persünlichkeit nieht theilen und tren-
nen; noch sagen, dies ist des Künstlers, und jenes des Men-
schen; vielmehr wird sich der wahre Künstler nicht blos vor
seiner Staffelei oder seiner Statue, sondern auch im Verkehr
des Lebens und allen seinen Ansichten und Ueberzeugungen
als KüÄstler bekunden. _Es beclarf also die Kunstgesclwichte
einer Ergänzung cladureh, dass uns statt der allgemein künst-
lerisehen Bedeutung der Künstler das mäglichst konkrete Bild
ihres ganzen Wesens und Seins gegeben wird. Orler, mit
anderen Worten, die Kunstgeschichte muss individualisirt wer-
dan. ,,Wem1 das Grenie eines Künstlers", sagt ein belgischer
Kunstschriffsteller, Roger de Beauvoir, "and seine ganze
Weise, wie er producirte, uns ein Räthsel schien, so lag (las
Geheimniss in irgend einem Ereignisse saines Lebens ver-
steckt und es war eben der Fehler der früheren Kunstkritik,
in dem Bilde niemals den Bildner zu sehen, dem Maler nie-
mals hinter die Leinewanrl zu blieken und auf die Verhält-
nisse und Umgebungen seines Lebens nicht zu reüektiren."
Es kann clieser Mangel kaum als ein Fehler der früheren
"Kunstkriük" bezeichnet werden, sondern es war derselbe in
dem ganzen Entwickelungsgange derKunstgeschichte als Wissen-
schaft hothwendig begründet. Von einzelnen uncl zufälligexu
Veranlassungen ausgegangen, konnte sie erst allmälig auf die
allgemeinen Resultate hinarbeiten. Diese Arbeit aber musste
zuerst gethan werden, um überhaupt eine Einheit in das