MICHEL
ANGELO
21.11
PIETRO
ARETINO.
15371
[Rom
Vortrefflicher Messer Pietro, mein Herr und Bruder!
Beim Empfang Eures Briefes habe ich Fraude und Schmerz
zu gleicher Zeit empfunden. Gefreut habe ich mich, dass
der Brief von Euch kam, der Ihr an Vortreälichkeit einzig
auf der Welt seid; aber auch grossen Schmerz habe ich ge-
fühlt, weil ich bei Vollendung eines grossen Theiles des Bil-
des Eure Erfindungen nicht mehr in Ausüihrung bringen
kann. Eure Erfindungen, die der Art sind, dass, Wenn der
Tag des Gerichtes schon gewesen wäre, und Ihr ihn mit an-
gesehen hättet, Eure Worte ihn nicht besser Würden zeichnen
kännen.
Nun, nm in BetreH Eurer Absicht von mir zu schreiben,
zu antworten, sage ich Euch, dass es mir nicht nur lieb sein Wird,
sonclern dass ich Euch so gar sehr bitte es zu thun, weil ja (loch
Selbst Künige 11m1 Kaiser es für die hüchste Gunst halten,
von Eurer Fader genannt zu Werden. Wenn ich zu dem
Ende etwas habe, was Euch genehm ist, so biete ich es Euch
von ganzem Herzen an. Und Was zuletzt Eure Absicht be-
trifft, nicht nach Rom zu kommen, so ändert Euren Entschluss
nicht, um etwa die Malerei dic ich 1nache zu sehen, denn
das würde wirklich zu viel sein. Ich empfehle mich Euch.
Der obige bei Bott. II. 22 abgedruckte Brief ist oHen-
bar (lie Antwort auf den nachfolgenden Brief des Pietro
Aretino vum 15. Septelnbel" 1537, Weshalb ich auch das im
Original fehlende Datum dem entsprechend ergänzt habe.
Michel Angelo war damals mit der Ausführung des jüng-
sten Gerichtes beschäftigt, zu dem er schon unter Clemens VII.
einige Vorarbeiten begonnen hatte und dessen Ausführnng