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eine solche Färbung hätten geben kännen, ergiebt sich (las-
selbe aus den "zahlreichen Briefen, die wir mittheilen, viel-
mehr als durc-hiveg gemüthlich, wohlwollend, von einer mil-
den und gütigen Humanität getragen. Schon ans den Poe-
siecn Michel Angelffs hattc man eine solche Richtxmg seines
Gemüthes erkannt und dieselbe mit einem richtigen Gefühl
als das Weibliche in seinem Charakter bezeiclmet. Dic Briefe
Werden dasselbe zeigen. Zu dem Eindruck der Grässe, den
man, wenn von Michel Angelo die Rede ist, als den vorwie-
genden betrachten kann, wird sich überall der der Liebens-
würdigkeit gesellen.
Nur kurz mag hier bemerkt werden, dass es bei der
eigexithümlichen isolirten Stellung Michel Angelds nicht an
mannigfachen Missverständnissen und falsehen Auffassungen
seines Charakters fehlen konnte, so hat man denn in der
That ans der Festigkeit und Abgeschlossenheit seines We-
sens auf eine rauhe und unverträglichaNatur geschlossen und
manches bestimmte und derbe Wort über Zeit- und Kunstge-
nossen mochte einer solcheim Auffassung eine schcinbare Be-
stätigung gewähreif). Wer aber die Natur der Künstler
kennt und mit der freieren Art ihres Verkehrcs vertraut ist,
wird auf derlei Dinge nicht allzugrosses Gewicht legen. Da
fällt auch Wohl noch heut' zu Tage ans dem mildesten und
humansten Munde über die Werke von Kunstgenossen z. B.
mancher kräftige Kernspruch, der von der freieren Laune
des Augenblicks eingegeben ist und aus dieser beurtheilt Wer-
den muss. So ist es heute und so ist cs gewiss von jeher
im Künstlerleben gewesen. Wenn irgend wo, so muss man
sich hier vor Pedanterie hüten und dem, wenn auch schein-
bar etwas beissenden Witz und. dem frischen Humor volle
Rechnung tragen. Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet,
werden auch derartige Aeusserungen Michel Angelds, der
überdies heftig ,und leidenschaftlich war, keinen so grämlichen
Schluss auf dessen Charakter rechtfertigen künnen.
Und um auf den oben angedeuteten Gegensatz in dicsem
letzteren zurückzukommen, se hat Michel Angelo in der That
eine Doppelnatur, in der sich eine herbe und strenge Grässe
l) lilehrere solcher vermeintlichen Belege von ,,Michel Angelds
Unverträglichkeit" giebt Passavant Bafael S. 181 if. Sie sind meisten-
theils harmloser Natur; über die Aeusserung in Bezug auf Rafael und
Bramante vergl. die Erläuterungen zu dem Brief 56a.