MICHEL
ANGELO
BUONARRUFI.
Die in Nachfolgendem mitgetheilten Briefe des Michel
Angelo Buonarroti ilmfassen den nur durch dia lange Lebens-
dauer, so wie (lie nicht minder lang andauernde geistige
Frische und Rüstigkeit des grossen Künstlers erklärliehen
Zeitraum von vier and sechszig Jahren. Keines der bedeu-
tenderen Ereignisse dieses reieh bewegten Lebens, das man
als eine ununterbrochene Kette grosser Werke und Tha-
ten bezeichnen kann, ist in der Reihc jener werthvollen
Mittheilungen unberührt geblieben, so dass wir in ihnen
fast den ganzen Lebenslauf unrl (lie gesammte geistige Ent-
wickelung des grossen Mannes an unseren Augen vorüberzie-
hen sehen.
Denn darin stimmen alla diese Briefe, so mannigfaltig
auch deren Inhalt und so zufällig auch oft deren Veranlas-
sung scheinen mügen, überein, uns Michel Angelo, den (las
Urtheil seiner Zeitgenossen wie der nach seinem Torle ver-
fiossenen drei Jahrhunderte als einen der grüssten Künstler
aller Zeiten anerkannt hat, auch als einen seinem geistigen
Wesen und seinem Üharakter nach nicht minder grossen
Menschen zu schildern. Sic zeigen, wie die ganze Gewalt,
der gediegcne Ernst, flic fast herbe Strenge, sovde clie gei-
tige Tiefe, (lie Michel Angehfs Werke in der Kunst erfüllen,
in derselben Weise auch sein ganzes Leben, all sein Denken
und Empfinden, ail sein Thun und IfIandeln endlich bestimmt
und begründet haben. Ueberdies aber tritt aus ihnen zu je-
nem Bilde des geistigen und sittlichen Charakters des Michel
Angelo, insofern dasselbe dem von uns ais bekannt voraus-
gesetzten künstlerischen Oharakter entspricht, noch eine neue
Seite hinzu, die man Wedez- aus seinen künstlerischen Schäpfun-
gen, noch aus den von der Kunstgeschichte aufbewahrten
vereinzelten Zügen seiner Gharakteiistik herauszulesen im
Stande ist.
Es ist dies nämlich die grosse Herzensgüte, (lie Milde
and Weichheit, welche so wesentliche Züge seines Charakters
ausmachen, während man sic]: dieselben gewühnlich herb, schroff
und abstossend vorstellt. 1m Gegensatz zu diesel. gewähn-
lichen Anschauung, im Gegensatz zu den vielfaehen Käm-
pfen und Prüfunggen, die seinem Wesen allerdings sehr leicht