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treff der wunderbaren Kunst, der reichen Ornamente und der
Grässe der Gebäude gemeldet werden, diese vielmehr als
Fabeln, denn als Wahrheiten ansehen. Mir aber pflegt es
anders zu ergehen; denn aus den Ruinen, die man noch zu
Rom sieht, auf die Güttlichkeit jener alten Geister schliessend,
erachte ich die Ueberzeugung nicht für unbegründet, dass
viele Dinge für uns unmäglich scheinen, während sie für jene
sehr leicht waren. Da ich nun also jene Alterthümer sehr
eifrig erforscht und keine geringe Mühe darangesetzt habe,
sie ganz genau zu untersuchen und mit Fleiss auszumessen,
S0 wie durch das Lesen der guten Schriftsteller, die Werke
mit den Schriften zu vergleichen, so glaube ich, einige Kennt-
niss der antiken Baukunst erlangt zu haben.
Dies nun verursacht mir durch das Verständniss eincr
so ausgezeichneten Sache das grüsste Vergnügen und zu
gleicher Zeit den grüssten Schmerz, indem ich, so zu sagen,
den Leichnam jener edlen Vaterstadt, Welche die Künigin
der Welt war, so jämmerlich zerrissen sehef) Wenn
daher die Pietät gegen Aeltern und Vaterland jedes
Menschen Schuldigkeit ist, so halte ich mich fiir ver-
pflichtet, alle meine geringen Kräfte anzustrcngen, auf dass
so viel als müglieh von dem Bilde und gleichsam von dem
Schatten jenel- Stadt lebendig bleibe, die in der That die
allgemeine Vaterstadt aller Christen ist und die eine Zeit
lang so voll Würde und Macht War, dass die Menschen
schon zu glauben anfingexl, dass sie allein unter dem Himmel
über dem Schicksal stände und gegen den gewänlichen Lauf
der Dinge vom Tode befreit und zu ewiger Dauer bestimlnt
sei. Daher schien es, als ob die Zeit, die immer neidisch
auf den Ruhm der Sterblichen ist, ihrer eigenen Kraft allein
nicht vällig vertraut und sich mit dem Schicksal und den un-
heiligen und verbrecherischen Barbaren verbunden hätte, die
zu der gefrässigen Feile und dem vergifteten Bisse jener die
frevelhafte Wuth und das Eisen und das Feuer und alle
die Mittel hinzufiigtexl, die zu ihrem Verderben hinreichten.