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der alten Gebäude ünden, aber ich weiss nicht, ob dies nicht
ein lkarusflug sein wird. Vitruv giebt mir darin zwar ein
grosses Licht, aber nicht soviel, dass es genügen künnte.
Wegen der Galatea würde ich mich für einen grossen
Meister halten, Wenn nur die Hälfte der grossen Dinge daran
wäre, clic Ew. Herrl. mir schreibt. Ich erkenne aber in Eu-
ren Worten die Liebe, die Ihr für mich hegt. Uebrigens
muss ich Euch sagen, dass ich, um eine Schüne zu malen,
(leren mehrere sehen müsstc; und zwar unter der Badin-
gung, dass Ew. Herrl. sich bei mir befände, um eine Aus-
wahl des Allerschänsten zu treffen. Da. nun aber irnmer
Mange] an richtigem Urtheil, wie an schünen Frauen ist, be-
diene ich mich einer gewissen Idee, die in meinem Geist
entsteht. Ob diese nun einige künstlerische Vortreiflichkeit in
sich trägt, weiss ich nicht; wohl aber bemühe ich mich, sie
zu erreichen. Und damit empfehle ich mich Ew. Herrl.
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Bott. I. 116. Pass. I. 533. Der Graf Baldassare
Castiglioxle ist einer der glünzendsten und gefeiertsten
"schünen Geister" (belli ingegni) der damaljgen Zeit, die in
der vollendeten Ausbildung der schünen Fox-men und anmu-
thigen Sitten im wirklichen Leben, wie in Kunst und Litera-
tur ihre hüchste Befriedigung fand. Eine Befriedigung und
ein Genuss, der nach Ranke's schänem Ausspruch nur we-
nigen bevorzugten Epochen der Gechichte vergännt ist. Nichts
bekundet dies mehr als Oastiglionds berühmtes Werk ,,Il
Cortigiano", welches gegen den Willen des Verfassers, wie er
selbst sagt, auf Veranlassung der Marchesavvoxl Pescara, Vit-
toria Colonna (s. u. Nr. 78--84), dem Druck übergeben
worden ist. Es ist darin in Form von Unterhaltungen am
Hofe des Herzogs Guidobaldo von Urbino (las Ideal einer
dureh Geist, Anmuth und feine Sitten künstlerisch gestalteten
Geselligkeit geschildert, welches in der That als der vollen-
detste Ausdruck jener ganzen, oben angedeuteten Zeitrichtung
betrachtet werden darf.
Seitdeln Rafael Castiglione's Bekanntschaft bei seinem
Aufenthalt in Urbino im Jahre 1504 gemacht, ist ihm der-
selbe stets Gänner und Freund geblieben. Gewiss kann
Künsller-Briefe. l. 9