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DIE
VERDIENSTE
DER
VAN DALEN UM
DIE
KUNST.
So erklärt es sich höchst einfach, dass seiner Zeit zur Restau-
ration eines hervorragenden norddeutschen gotischen Doms ein
Ingenieurleutnant kommandiert wurde, der sein Leben nur in den
Parallelen gearbeitet hatte. Der Dom wurde dem Befehl gemäss
auch vollendet, aber fragt mich nur nicht wie?
Vom grünen Tisch diktiert, von Festungsbaumeistern aus-
geführt, zeigt er nunmehr den bestimmt ausgeprägten festungs-
mässig- bureaukratischen Charakter. So prangen ganz munter auf
den Helmen der Thürme statt Kreuzblumen ausgezackte Mühl-
räder, wahrscheinlich den Köpfen der Herren Baukommissäre
entnommen. Doch Schwamm drüber! Gehen wir lieber auf die
alten Vandalen zurück, die wenigstens ihren Zerstörungstrieb
nicht durch das dehnbare Wort "Restauration" zu bemänteln
suchten.
Wie im grossen bei ganzen Völkerschaften, so verschafft sich
unser Gesetz auch im kleinen bei Landschaften und Provinzen
Geltung. Im XVI. Jahrhundert herrschte in Oberdeutschland die
Augsburger Mode, nicht deswegen weil Augsburg etwa eine
grosse Militärmacht hätte entfalten können, sondern darum weil
grosse Künstler in diesem Hauptstapelplatz der Welt wirkten,
deren überlegene Meisterschaft in der eben aufstrebenden Re-
naissance von der Nachbarschaft kopiert wurde.
Der Kölner Dom wäre nicht entstanden, wenn die guten Van-
dalen unter den nackten Statuen des klassischen Altertums nicht
ein bisschen aufgeräumt hätten. Auch die romanischen Völker,
die doch Blut und Sprache der alten Römer in sich aufgenommen
haben, sind den Goten und Vandalen unendlich vielen Dank
schuldig. Sie hätten das alte Element nicht in dem Grade be-
wältigen können, dass die Kunst neue kräftige Triebe erzeugt und
zur Blüte gebracht hätte, wenn nicht Trümmer und Schutt die
Erinnerung an die Antike begraben hätten. Odysseus kam an
den Sirenen ohne herein zu fallen vorbei, weil er seinen Gefährten