S6
DIE
VERDIENSTE
DER
VAN DALEN
UM
DIE
KUNST.
mappe, ziehen dann unter den Normalplänen den heraus, der am
billigsten ist und nun wird nach der Schablone im Odenwald eben-
so gebaut wie an der Oder. So sehen denn alle modernen Kirchen.
besonders die Kirchtürme wie Zwillingsbrüder aus. Daher auch
die Allerweltspluyrsionomie der Profanbauten. Wer von den noch
vor einem Jahrzehnt gebauten Bahnhöfen, Gymnasien und Ka-
sernen auch nur einige gesehen hat, der kennt sie alle auswendig.
Wer die Dresdner Kasernen gesehen hat, der hat auf ewig genug.
Freilich unterscheiden sie sich wieder aber nur wie die Nasen.
grosse und kleine, dicke und dünne. lange und breite, schmale
und enge, krumme und gerade, höchstens schwingt sich einmal
eine zu einer Warze oder zu einem wärmeren Kolorit auf. Von
einem echt volkstümlichen Charakter der Kunst konnte im
letzten Menschenalter gar keine Rede mehr sein. Trotz aller
Professorenweisheit wird sich ein deutsches Volk nie damit be-
freunden können seine Nationalgallerie in einem griechischen
Tempel untergebracht zu wissen, seine Söhne einen griechischen
Tempel als Hauptwache beziehen zu sehen. Dass derlei Kopien
antiker Bauweise nie in eine harmonische Verbindung mit den
benachbarten Gebäuden zu bringen sind, dass sie stets einen
unangenehmen Kontrast erzeugen, sieht zwar jedermann inoffi-
ziell ein, allein trotzdem! So kommt mir die an sich geniale
Schöpfung Hansens, das neue Reichsratsgebiiude in NVien immer
wie ein weisser Sperling vor. Das gehört auf die Akropolis in
Athen aber nicht in die lustige Kaiserstadt. Bei der Walhalla
bei Regensburg dagegen wird sich, wenn auch benachbarte Bau-
lichkeiten fehlen, somit die Gelegenheit zu einer direkten Ver-
gleichung nicht gegeben ist, doch die Reflexion nicht unter-
drücken lassen, dass ein Dorischer Tempel an der Donau weder zu
den umgebenden Bäumen noch zu den umwohnenden Menschen,
noch zu dem bei uns herrschenden Klima passt. Eine Pinie lässt
sich eben nicht auf eine Eiche pfropfen.