Volltext: Kunstästhetische Sünden

PRAXIS. 
unsern Freund auf den Abweg des Unbestimmten und Charakter- 
losen führen. So sind die Tinten verschwommen, so fehlt es auch 
an einem tiefen physionomischen Ausdruck. Die thränenreiche 
Stimmung, der Zug sanfter Sentimentalität drückt dem Bild den 
Stempel der Weichlichkeit auf. Dabei bekommt das ganze Bild 
durch die viel zu sehr hervortretenden Lokaltöne eine völlig zer- 
rissene 
Haltung. 
Dagegen wirklich ist brillant 
Das Glanzlicht, das mit kecker Hand 
Der Maler noch zu guter letzt 
Mit seinem Spachtel aufgesetzt. 
Recht nett, frappant, c'est vraiment bon 
Im Mittelgrund der warme Ton. 
Mit einem Wort recht brav jedoch 
Ein Jahr Italien fehlt hier noch. 
Überhaupt muss man in Italien gewesen sein um u. s. w., u. s. w. 
V. Das Porträt sieht so individuell aus, dass man mit Grund 
auf das Getroffensein des Originals schliessen kann. Dem wider- 
strebenden Kostüm ist eine höchst malerische Drapierung des 
Faltenwurfs abgerungen. Die Reflexe der blanken Rockknöpfe 
sind mit vielem Gefühl aufgefasst. Die lebenatmende Karnation 
sehr wahr, vielleicht zu wahr! Der Kopf ist vortrefflich model- 
liert, die leichte Neigung desselben wahrhaft raphaelisch. Doch 
drängt sich das Bemühen des Künstlers die aus dem Studium der 
Antike entnommenen Grundsätze auf seine Schöpfung anzuwen- 
den und in ihr zur Darstellung zu bringen zu sehr in den Vorder- 
grund. Gerade zu frivol aber ist die masslose Anwendung des 
Siccativs und die dadurch bedingten zahllosen kleinen Risse. 
Schlagwörter, die allgemein gang und gäbe sind, muss man 
möglichst vermeiden. Urteile wie: Das Bild tritt zum Rahmen 
heraus, es blickt einen überall an wo man auch steht, es ist or- 
dentlich sprechend ähnlich u. dgl. m. kann jeder Leiermann im 
Munde führen. Ist daher der Wort- und Satzvorrat ganz auf die
	        
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