ÜBER
MODERNE
KUNSTKRITIK.
II. Von diesem Bild gilt genau dasselbe (oder: diametral ent-
gegengesetzte) wie vom vorigen.
Fängt man gleich mit dem zweiten Bild an, so kann man mit
einigen Variationen damit eine ganze Ausstellung durchrecen-
sieren.
ent-
III. Der Künstler verbindet mit einem klaren Kolorit, einer
selbständigen Kraft in der Anlage einen kühnen markigen und
doch leichten Pinsel. Ein tiefes Studium der Anatomie ist unver-
kennbar. Nicht minder ist die Komposition gelungen und pyra-
midal. Bedauerlicher Weise ist die Ölskizze eben Skizze geblieben.
Eine gründlichere Durcharbeitung würde ihr noch mehr zum Vor-
teil gereicht haben. Denn die Schiffe sind, wie jeder Leicht-
matrose uns sagen kann, viel zu wenig studiert. Die Masten
müssten viel kürzer und mehr nach den Achtersteven zugerückt
sein. Augenscheinlich ist der Moment vor Sonnenaufgang ge-
wählt, wo die dämmernde Eos mit rosigen Fingern emporsteigt.
Deshalb würde sich auch beim Kolorit brillant oder kräftig
nicht übel machen. Ist das Kolorit aber zu kräftig, dann schreit
es. Ist der Pinsel zu fett, muss man schleunigst einen Cognac
trinken. Er kann auch stark sein, was aber nicht so schöne Klang-
farbe hat. Einen ängstlichen Pinsel führt nur der Anfänger. Be-
züglich der Anatomie ist es frivol dies Urteil zu begründen, wenn
man von Muskel- und Knochenlehre keine Idee hat. Allein mit
Delta- und Zwillingmuskel, jochbein und sechster Rippe wird man
wohl jeder unliebsamen Koramierung naseweiser Interpellanten
vorbeugen können. Die Ästhetik verlangt, dass die Silhouette
einer historischen Komposition im ganzen sowohl wie in den ein-
zelnen Gruppen der Pyramide gleiche. Pyramidal ist also im
Kunstsprachgebrauch nicht gleichbedeutend mit riesig oder ko-
lossal, was ich zu beachten bitte.
IV. Das lobenswerte Streben nach Idealem musste, wie es
die Kunstgeschichte an 1000 Beispielen nachweisen kann, auch