ÜBER
MODERNE
KUNSTKRITIK
ohne gerade auf die Chinesischen Fusseinschnürungen kommen zu
müssen, doch dem schönen Geschlecht einen ungraziösen, wack-
ligen Gang a la Capitolsbefreierinnen möglichst erleichtern kann.
Die Tiermalerei hat wohl an Quantität ab-, an Qualität
jedoch zugenommen. Sie wird jetzt meist dazu verwendet be-
rühmte Rennpferde, prämiierte Ochsen, Kälber und Schweine
ihrem glücklichen Besitzer in ewigem Andenken zu bewahren.
Ein riesiger Fortschritt gegen früher. Wie fallen dagegen selbst
die reizendsten Tierstücke einer Rosa Bonheur ab, deren pracht-
volle idyllische Hammel, deren sinnig weidende Kühe uns immer
in banger Ungewissheit darüber lassen 0b ihre Woll- und Milch-
produktion vor einem landwirtschaftlichen Preisgericht Wenig-
stens einer Silbernen für würdig befunden werden? Blumen und
Fruchtstücke zu malen ist nur noch aus dem Anfang dieses jahr-
hunderts uns übererbten Malerinnen beschieden. Durch den
ausgebildeten
Farbenholzschnitt,
durch
die
Chromolitho-
und
Chromophotographie ist dieser Zweig der Malerei, so weit er
sich nicht aufs Ornamentale geworfen und im Kunstgewerbe
neuen Boden gefasst hat, verblüht und im Absterben begriffen.
Auf der tiefsten Stufe der Malerei stehen die Stillleben.
Das Recept zu einem solchen ist sehr einfach: man nehme einen
Tisch oder Stuhl je wurmstichiger je besser einige sehr
hässlich-unästhetische oder sehr anmutige l-laushaltungsgegen-
stände insbes. Krüge, Majoliken, Schüsseln, Gläser mit oder ohne
Wein, allerlei essbare und nicht essbare Pflanzen und Früchte wie
Trüffeln, lVlorcheln, Orangen, Zwiebeln, Champignons, Rettiche,
Weintrauben, Rosen, Makartbouquets u. s. w., füge einige Zuthaten
aus dem Tierreich hinzu wie einen Goldfisch, Hummer, Caviar,
Truthahn, Schmetterling, Käfer oder Fliege, quirle das Ganze mit
einigen Glanzlichtern und etwas Sonnenstaub tüchtig ab, konterfeie
dies Konglomerat möglichst naturgetreu ab und ein prächtiges
Stillleben ist fertig. Zur Zeit beherrschen den Kunstmarkt fast