Volltext: Kunstästhetische Sünden

THEORIE. 
im Allgemeinen sondern) zum dargestellten Gegenstand. Leider 
giebt es mehr als zuviel Leute, die ihr ganzes Leben sich nie 
über den Standpunkt eines im Sumpfe quakenden Frosches zu 
erheben vermögen. Somit wäre die F roschperspektive die natur- 
gemässe aller Kritikaster! Mit einigen technischen Ausdrücken 
wie horizontale und vertikale Linien, Augen- und Verschwindungs- 
punkt, Überschneidung, Horizonthöhe, u. s. w. wird man, wenn 
man keck damit um sich wirft, schon auskommen. Mit Redensarten 
aber wie „der Künstler hat, wie man sieht, sein Stipendium für 
das Studium der Florentiner Gallerie nicht umsonst bezogen, denn 
in Anlehnung an die besten daselbst vertretenen Meister des 
Cinquecento lockert er die Gesetze der Linienperspektivelediglich 
um eine packende optische Täuschung hervorzubringen" und 
ähnlichen wird man alle Zuhörer in Staunen und gerechte Be- 
wunderung schier versetzen. Wald- Feld und Wiesenlandschaften 
bezeichnet man, wenn sie grün in grün gemalt sind, mit dem 
wissenschaftlich-botanischen Ausdruck: Spinat. 
Die Porträtmalerei, die in der menschlichen Eitelkeit 
wurzelt, hat sich immer grosser Beliebtheit erfreut, wenngleich 
ihr in der Photographie eine mächtige Konkurrentin erwachsen 
ist. Ein Prügeljunge ist immer etwas wert und so verfehlt es 
noch immer seine Wirkung nicht, wenn man über die Photographie, 
dieses „rein mechanische Handwerk" herzieht. Man Hicht dann 
einige Geschichten von unähnlichen  weil nicht genug ge- 
schrneichelten  Visitenkarten ein, weist auf die Vergänglichkeit 
der Photogramme und ihr Vergilben hin und kann dann eine 
philosophisch- ästhetische Reflexion über die menschliche Ver- 
gänglichkeit im Gegensatz zur Unsterblichkeit der Seele und 
Kunst anschliessen. An geeigneter Stelle wird dann mit ent- 
sprechenden Gesten und Floskeln auf die Meisterschöpfung der 
neuesten Bekleidungskunst, die göttliche Tournüre eine Hymne 
gesungen. Sie erst löst in genialster Weise das Problem, wie man
	        
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