ÜBER
MODERNE
KUNSTKRITIK
eine schöne Seele wohnen könne. S0 war es sehr erklärlich.
dass bei der Verflachung der Kunst die antiken Bildhauer sich
mit der leichteren Darstellung jenes allein begnügten. Welch
eminenter Unterschied ist z. B. zwischen der Venus von Milo und
der Medicäischen? Beide von einer körperlichen Schönheit zum
Entzücken, aber jene voll Adel, Hoheit und Seele, diese mehr
einem koketten Kammerkätzchen vergleichbar!
Trotzdem hat uns die Antike ungefähr gleichviel männliche
wie weibliche nackte Statuen hinterlassen. Angenommen, aber
nicht zugegeben, dass der unbekleidete menschliche Körper
die höchste und schönste Aufgabe der Kunst ist, warum leisten
sich dann alle heutigen Nuditätskoryphäen auch nicht einen
männlichen nackten Körper? Wenn freilich die Makartschen
5 Sinne durch 5 männliche Modelle dargestellt worden wären,
hätte von unserer gesamten kunstsinnigen Herrenwelt auch
nicht einer die 2 Mark Entree dran spendiert und unsere sitt-
same Damenwelt wäre sicherlich wenigstens nicht am hellen Tage
in die Makartausstellung gerannt.
Allerdings haben diese 5 weiblichen Gestalten nicht ihres-
gleichen. Aber man muss über diese Unvergleichlichkeit etwas
reflektieren. Dass sie glänzend sind und wirkungsvoll, wer wollte
das bezweifeln, wenn er Augen hat. Aber dass sie blos glä nzend
sind und durch ihren Glanz erst wirkungsvoll, darüber lehrt ein
zweiter Blick auf sie. Es ist glänzende Oberfläche und nichts als
Oberfläche, es ist Dekorationsmalerei, Farbenschmuck in einem
gedachten oder gegebenen Raume. Makarts Auge war ganz auf
die Farbe angelegt, aber nicht auf eine Farbe, die sich der
Künstler als ein Mittleres zwischen Anschauung und Wirklichkeit
schafft, wodurch er zugleich seinen Gegenstand und seine eigne
Empündung verständlich macht, sondern auf eine Farbe durch-
aus persönlicher Natur, die er den dargestellten Gegenständen
verlieh. Makart frug nie den Dingen ihr Farbengeheimnis ab.