THEORIE.
lVlan kann nicht jedes Vergnügen so wie die Congoneger
oder Sansibariten geniessen. Der civilisierte Kulturmensch muss
alles lernen, auch den Genuss. Kegelwerfen, Whistspielen und
Cigarrenrauchen sind sicher die schönsten irdischen Genüsse,
allein gelernt müssen sie doch auch werden. Ebenso verhält es
sich mit dem Kunstgenuss.
Die Barbaren haben in Mangel höherer Vorbildung die An-
gewohnheit bei einem Kunsturteil nur ihrer Empfindung zu folgen.
Fragt man sie nun nach dem Grund, so heisst es höchst naiv:
"Das Bild ist schlecht weil es mir nicht gefällt." Ganz abgesehen
von der hierin liegenden unglaublichen Arroganz kann nach dem
Grundsatz: „Die Geschmäcker sind verschieden" ebensogut das-
selbe Bild einem Andern gefallen, er kann also dasselbe mit dem-
selben Rechte gut nennen.
So weiss das arme unschuldige Bild gar nicht, woran es dran
ist. Allein der wahre Kunstkritiker weiss sehr gut, dass eine
Empfindung täuscht, weiss, dass ein Bild riesigen Effect machen
und doch hundsmiserabel sein kann, weiss aber auch, dass er sein
ganzes mühselig zusammengeklaubtes Renomee verlieren könnte,
wenn er seinem Gefühle nach urteilte und eine noch grössere
Kunstautorität wäre fataler Weise diametral entgegengesetzter
Ansicht. Er wird also die Gründe seines Urteils im Bild selbst
aufsuchen; z. B. das Bild ist sehr braun; weil es sehr braun ist,
muss viel Judenpech oder Asphalt drin sein. Weil viel Asphalt
drin ist, muss das Bild aus der Makartschen Schule sein. VYeil
nun lVIakart noch nicht ganz aus der Mode ist und beim Herren-
publikum noch immer zieht, folglich ist das in Rede stehende
Bild gut. So wird man auf dieses Urteil durch den angeführten lo-
gischen Kettenschluss auch gegen seine Überzeugung kommen.
was man edle Resignation oder Selbstverläugnung nennt.
Selbstverständlich sind alle Bilder von 1000 M. aufwärts, be-
sonders wenn sie von einer öffentlichen Gallerie angekauft wurden,