erster
Goethe's
Aufenthalt
Rom
1786-
1787.
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gelohnt; nach der Abreise der Fremden erkundigen sich
Hansnrirte oder Diener noch lange nach ihrem Ergeheir
tragen Grüsse auf oder empfangen solche, und freuen
sich ausgelassen, wenn ein noch einmal
zurückkehrt. Sehr offenkundig wurden bei der Harnl-
losigkeit der Sitten die Liebesverhältnisse g-etrieben, zu
denen das Modellwesen den Künstlern ja reichlichen An-
lass Der "Schatz" war kein Besitz, den der Künstler
zu verstecken nötig hatte, oder der sich selber hervor-
zuleuchten scheute. Von ganz besonderer Originalität
war das Verhältnis der Künstler zu den Bettlern, dieser
so charzrkteristischen Statfage Roms Die grosse Anzahl
(lerselbeirdarf nicht als ein Beweis besonderen Elends
gelten; denn der Beruf des Bettlers galt im damaligen
Kirchenstaat, dessen mittelalterliche Grundsätze von
keiner modernen Nationalökonomie angekrankelt waren,
für einen gottgefälligen Stand, weil er einerseits auch
bei glücklichsten Resultaten doch in gewissen Hinsichten
Bedürfnislosigkeit erfordert und andererseits den übrigen
frommen Christen Gelegenheit zum Wohltun bietet. So
waren die Bettler geradezu privilegirt und freuten sich
an fest bestimmten Platzen der körperlichen (lebrechen,
welche sie der lästigen" Arbeit überhoben. Sie kannten
durch langes Studium die persönlichen Verhältnisse der
meisten Vorübergehenden und pflegten sie daran zu
erinnern, dass sie durch ein kleines Almosen die Feg-
ienerqualen eines kürzlich verstorbenen Verwandten oder
lheiiiitles abkürzen könnten. Als besonderer Güustling'
der Deutschen wird uns ein alter Bettler genannt, der
immer an der 'l'hür des Cafe Greco sass und auf den
Namen Bajocco hörte; er glich einer ungestalten Fleisch-
masse, aber er war stets guter Laune, recht wohlhabend
und erreichte ein Alter von mehr als achtzig Jahren;
er pflegte in der letzten Zeit sich den Künstlern damit
zu empfehlen, dass er sagte, er sei zwar nicht so schön"
wie eine antike Statue, aber ebenso alt. Er war eine so
allgemein bekannte, typische Figur, dass er sogar von
einem Witzbold als iingirter Verfasser eines grausamen