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Vierter
Abschnitt.
Den deutschen Freund. welcher ihm am nächsten
gekommen war, liess Goethe in Rom zurück, obgleich
auch er nach dem Süden gehen wollte und sich nur
schwer von dem Dichter trennte. Es war M oritz, den
ein schlimmer Unfall, ein Armbrnch, seit dem Anfang
des Winters an das Bett gefesselt hatte, und der auch
jetzt, im Februar, noch zu schwach war, um aufbrechen
zu können. In den langen Wochen seines Leidens hatte
er in ganz ausnehmendem Mass Goethe's freundschaft-
liche Fürsorge erfahren; nicht nur körperlich war er von
ihm gepiiegt, sondern auch in seinem trüben und ver-
worrenen Gemütszustande, den wir schon im vorigen
Capitel 8Il(l8lll3G'[6l1,_ wahrhaft beichtvaterlicli unterstützt
und, geleitet. so dass er neuen Lebensmut gewann. hloritz"
wissenschaftliche ülätigkeit nahm ihren eigentlichen Aus-
gangspunkt erst von diesem intimen Verkehr mit Goethe.
„l.ch lasse," schrieb dieser, „bei meiner Abreise llIoritz
ungern allein. Flr ist auf gutem Wege; doch wie er für
sich geht, so sucht er sich gleich beliebte Schlupfwinkel."
Ein charakteristisch Goethesches Wort, welches seine
Schätzung der Klarheit und Sicherheit, seine Abneigung
gegen alle willkürlichen Launen im Denken und Hlaildeln
erkennen lasst. Die ruhige Beobachtung' und Beurteilung",
zu welcher ll'lorit,z' sonst reizbares (äemüt durch Goethe's
klärenden Einfluss geführt wurde, trug sogleich eine für
uns noch wichtige und erfreuliche Frucht in den lteise-
briefen und Beschreibungen, in welchen er seine italie-
nischen Eindrücke zusammenfasste, und die für uns die
wertvollste Quelle für die Kenntnis des Zustandes und
der Lebensweise der damaligen "Künstlerrepublik" bilden.
Moritz hat gerade in dieser Hinsicht scharf beobachtet
und sicher zusammengefasst, und so kann er uns ein
farben- und gestaltenreiches Kulturbild dieser Jugendzeit
klassischer Begeisterumg geben.
Das (lentrum der Fremden überhaupt, und so auch
der deutschen Künstler war der spanische Platz zwischen
dem Corso und dem Monte Pincio. lheser Platz war
nexterritorialif, er stand unter dem Schutz der ver-