Goethe's
erster
1786-
in Rom
Aufenthalt.
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Er gehörte, obgleich in Weimar Goethe's Genosse, doch
einem andern Bildungskreise an; römische Luft hatte ihn
niemals zingeiveht, und die Antike, welche er in sovielen
seiner Schriften verführte, hatte nichts gemein mit der
ldealivelt Winckelmaiiifs, noch mit der realistischen
A1tertumsiorschung eines Hirt. Für ihn waren die
Figuren aus dem Altertum noch die beliebig von der
Dichterhaiitl zu bewegenden Marionetten, zu Welchen die
Kunst des siebzehnten Jahrhunderts sie gemacht hatte,
zierlich und heiter, und er zweifelte wohl nicht mit
Unrecht daran, dass das grosse Publikum, für welches
sein Hllierkurit bestimmt war, zu einer ernsteren und
tieferen Betrachtung willig' sein werde. Wenigstens
hatten weder die später von Hirt und Moritz gemeinsam
herausgegebene Zeitschrift, noch sogar Goethe's Propy-
läen sich der Gunst des Publikums zu rühmen.
So weitherzig und menschlich gross wir Goethe in
all diesen Beziehungen und Verhältnissen finden, so
hatte sein Entgegenkommen doch auch seine bestimmten
(lrenzen an der unverrückbaren Sicherheit seiner Grund-
sätze. Das hatte Friedrich Müller zu erfahren,
dem er doch selbst den Weg nach Italien erst erschlossen
hatte. An Müllers Arbeiten, die wir oben schon
charakterisirt haben, konnte Goethe kein Gefallen finden.
Schon 1781 hatte er in einem zwar wohlwollenden, aber
doch sehr unumwundeneii, mit genialer Sicherheit ge-
schriebenen Brief Müller davon unterrichtet, dass er
weder an seinen Stoffen dem Streit Michaels und des
Tlleutels um den Leichnam Mosis, und der ehernen Schlange
Gefallen finden, noch seine blos "stammelnde" Aus-
fiihrungsvveise billigen künneß) Müller war jedoch auf
seine Ratschläge nicht eingegangen, so dass das Ver-
hältnis sich löste und Goethe, der nun seine Fürsorge
Tischbein zuwandte, schon 1782 diesen weit über den
unglücklichen Dichter setzte, der sich zu früh (len Namen
"Maler" beigelegt habe. In Rom kümmerte er sich um
Müller nicht; freilich suchte auch dieser ihn nicht auf,
liess vielmehr seinen Missmut über Goethe's Gefolgschaft,