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Dritter Abschnitt
und zur Ausbildung seiner glücklichen kunstphilosophischen
Anlage geführt wurde, welche sich besonders in der
später noch zu betrachtenden Schrift „Von der bildenden
Nachahmung des Schönen" kund gab.
Aber auch nicht ohne Gefahr schlimmer Abwege
war die Begeisterung der Italienfahrer. welche in der
Literatur ihren Ausdruck fand. Der talentvolle und von
leidenschaftlicher Kunstbegeisterung glühende W i l h e l m
Heinse, der von 1781-83 in Italien weilte, träumte
hier einen Traum von ungebundner Sinnenlust, die ein
goldenes Zeitalter heraufführen sollte. Wenn Goethe in
seiner objektiv-ästhetischen Art, unbekümmert um die
Missverständnisse geistloser Menschen, es aussprach, dass
die menschliche Gestalt den rvürdigsten Stoff für den
Künstler abgebe, so huldigte Heinse demselben Satz mit
der groben Lüsternheit einer schrankenlosen Genusssucht.
Seine Schilderungen dessen, was er für ein künstlerisch
freies und würdiges Dasein hielt, sind zum Teil von
wilder Phantastik, zum Teil von einem ziusgeklügelten
Raifinement; trotzdem War seine künstlerische Empiindungts-
fahigkeit acht und gesund. Diese schönheit- und wollust-
trunkene Gestalt dürfte unter den kunstbegeisterten
Deutschen jener Zeit nicht fehlen, so wenig wie die
Danae oder Jo des Correggio unter den Schöpfungen der
Renaissance. Was die künstlerische Begabung" Heinses
über allen Zweifel erhebt, ist, dass er trotz aller ver-
zehrenden Leidenschaft doch Objektivität behält, um die
einzelnen Künstler und ihre Werke ilnparteiisch zu
schätzen und zu schildern. Spricht er vom Apoll oder
der medicäischen Venus, preist er Rafael oder Michel-
angelo oder Tizian, überall glauben wir ihn auf dem
Gipfel seiner Begeisterung zu finden, und wir sind über-
rascht, ihn sogleich bei anderem Anlass auf anderem
Wege Wieder die gleiche Höhe erstürmen zu sehen. Eine
gewaltige fortreissende Wirkung auf die Zeitgenossen
musste von seinem "Ardinghello" ausgehen, und, auch auf
Kreise, welche durch andere als so gewaltsame Mittel
für die Kunst nicht zu gewinnen waren.