Die Zeit des Übergewichts der französischen Schule
1779-
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bilden, entsprechend den Sammlungen von Gipsabgüssen
für die Plastik; (diesem Gesichtspunkt folgte z. B. Goethe,
als er später eine Reihe römischer Künstler für Weimar
arbeiten liess); teils wünschte man die Copieen auch zu
Studienzwecken zu erhalten, da man auch den jüngeren
Schülern, die noch nicht nach Italien entlassen werden
konnten, Gelegenheit bieten wollte, von den Werken der
grössten Meister wenigstens indirekt zu lernen; so ver-
fuhr z. B. die Berliner Akademie. Leider liess man sich
auch dabei nicht selten von jener Schwätchlichkeit und
Süsslichkeit des Geschmackes leiten, die wir an der da-
maligen Auffassung der Antike schon öfter getadelt
haben. So schrieb der Minister von Heiuitiz an einen
Beauftragten der Akademie, der Figuren aus Michel-
angelds jüngstem Gericht kopirte, mit Unwillen: „Die
Teufels-Figuren und Qualen der Verdammten sind (legen-
stande, die heutzutage nicht mehr goutiret und gemalt wer-
den; den jungen Leuten, die man nach seinen Zeichnungen
will kopiren lassen, müssen schöne Bildungen, angenehme
Charaktere, Hände und Füsse von schönen Formen vor-
gelegt werden, und nicht Teufels-Physiognoinieen und
Krallenß") So komisch und bedauernswert zugleich dieser
naive Erguss auch erscheint, so muss eine historische
Betrachtung ihn doch aus seinen berechtigten Voraus-
setzungen erklären: man hatte sich eben mit n1ühe-
vollem Streben von der Herrschaft des Barock, von dem
gankelnden Irrlicht Bernini frei gemacht, man hatte zu-
gleich erkannt, an welche NVillkürlichkeiten und Aus-
schreitungen Michelangelds das Barock angeknüpft hatte,
und so musste der grosse Florentinei" gerade dem eifrig
Strebenden als ein mindestens gefährlicher Führer er-
scheinen. Ging doch der gleichzeitige Italiener Milizia,
den wir schon kennen lernten, soweit, Michelangelo und
Bernini ohne "Weiteres neben einander als Verderber der
Kunst zu nennen! Von solcher Engherzigkeit waren die
deutschen Künstler weit entfernt. Oft beklagten sie
Sich auch über die sich wiederholenden, immer gleich-
artigen Copirauftrage; doch abhängig wie sie meist
Harnack, Kunstleben. 4